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Die Inszenierung (German Edition)

Die Inszenierung (German Edition)

Titel: Die Inszenierung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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ein anderer oder eine andere gesagt hat. Und gesteht jedesmal: Das könne er brauchen für eine kleine Erzählung.
    Ohne dich würde mich das alles nicht interessieren.
    Aber in die Oper rennst du ganz von selbst.
    Da wird gesungen, Schatz.
    Das möchte ich eben erreichen. Dass gesungen wird. Musik ist ganz direkt. Inhaltslos direkt. Das wäre mein Ideal. Verständlich werden nicht durch Inhalt, sondern durch Direktheit.
    Am Anfang hat mich das gestört, dass du immer alles aufgeschrieben hast! Bin ich für den ein Versuchskaninchen, habe ich gedacht. Inzwischen freut es mich, wenn du etwas brauchen kannst von mir.
    Du bist unerschöpflich.
    Mindestens. Und dieses Stück les ich jetzt.
    Darauf wart ich seit Tagen beziehungsweise Nächten.
    Die Nina, sagst du, glaube dem Trigorin nicht, dass er verlogen sei bis ins Mark. Warum sagt er das nicht einfach dem Publikum. Das ist doch auch noch da! Wenn er es nicht ihr sagt, glaubt sie es vielleicht eher.
    Darf ich mir das notieren? Für Lydia!
    Immer alles für diese Lydia. Von vier bis sechs jeden Tag hab ich das Gefühl, ich habe Fieber. Jeden Tag von vier bis sechs ist die bei dir. Und die Klinik ist informiert: Von vier bis sechs darf Herr Professor Baum nicht gestört werden. Sie legt sich zu dir, sie zieht sich aus und legt sich zu dir ins Bett! Klar!
    Schatz! Lydia ist meine Assistentin. Das weißt du. Zum Glück hat sie diesen himmlischen Ehrgeiz, die Inszenierung am Leben zu erhalten, bis ich wieder zurück bin. Nur durch sie, weil sie jeden Tag kommt und berichtet und mitnimmt, was ich sage zu dem, was sie berichtet, nur dadurch existiert die Inszenierung noch und entwickelt sich sogar. Lydia war einmal meine Freundin vor … ach … das war in Wuppertal und Osnabrück. Da haben wir Romeo und Julia gemacht. Und wurden vorübergehend ein Paar. Ohne sie wäre jetzt meine Inszenierung verkracht. Aus. Amen. Eine Katastrophe. Für mich. Nach den Erfahrungen, die sie jetzt macht, wird sie selber inszenieren. Das spüre ich. Ihr Ehrgeiz ist grell.
    Trotzdem. Von vier bis sechs geht es mir schlecht. Unglaublich schlecht. Es kann sein, dass ich einmal hereinstürme und euch überrasche!
    Du weißt: Professor Baum darf von vier bis sechs nicht gestört werden! Andererseits kann ich es nicht fassen, dass du glaubst, Lydia lege sich zu mir ins Bett. Solange Lydia da ist, bin ich auf, wir arbeiten, das heißt, ich gehe herum, das Zimmer wird zur Bühne. Lydia liebt mich immer noch. Liebe gibt es eben in Tonarten, die mit einander nicht verwandt sind. Du hast mich in der ersten Nacht kassiert. Und ich war noch so gut wie blind. Du bist eine Kassier-Virtuosin!
    Sag mir, wie ich das geschafft habe, vielleicht kann ich’s noch brauchen.
    Dann muss ich dich leider umbringen.
    Sag’s trotzdem.
    Du hast gesagt: Setzen Sie sich mal aufrecht hin. Jetzt nach vorne beugen. Nicht so weit. Locker bleiben. Nur ein bisschen nach vorne. Dann hast du mich massiert. Den Rücken. Nur an einer Stelle. Unter dem linken Schulterblatt. Als hättest du die Stelle gefunden, auf die es ankommt. Obwohl ich doch noch richtig blind war, habe ich unter deinen Händen auf einmal gespürt, dass ich lebe. Dass ich noch leben will.
    Und ich habe gerubbelt. Unterm linken Schulterblatt. Schatz, das mach ich immer.
    Wo IMMER?
    Bei allen Patienten. Allerdings wirkt es bei Männern mehr als bei Frauen. Ich rubble, wie wenn ich unterm Schulterblatt eine Zahl freirubbeln müsste. Tatsächlich ist das dann auch so. Ich rubble und rubble und spüre, wie etwas entsteht, unter meinen Händen, keine Zahl, aber ebenso deutlich eine Antwort, ein Gefühl, ein Erwachen.
    Das machst du bei allen?
    Ja.
    Machen das alle bei allen?
    Das macht außer mir niemand. Das ist meine Rubbelei. Ich hab Professor Overath das mitteilen wollen. Es hat ihn nicht interessiert. Aber die Patienten schon. Ich habe dann einfach einen Kontakt zu den Gerubbelten. Und verboten hat’s der Professor nicht.
    Schade.
    Aber wie es bei uns weiterging, so ist es noch nie, nie, nie weitergegangen.
    Trotzdem schade.
    Du hast gesagt, dass du wieder angefangen hast zu sehen, das kommt vom Rubbeln.
    Trotzdem, trotzdem, trotzdem! Du versprichst, dass du bei keinem mehr rubbelst.
    Dann muss ich kündigen! Und dann?
    Das wird sich zeigen. Ich weiß, wie das tut, dein Rubbeln.
    Tatsächlich führt es bei männlichen Patienten öfter zu Heiratsanträgen. Sie sind verheiratet. Wie du. Schon beim zweiten oder dritten Rubbeln legen sie los. Tun gebildet, sagen aber

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