Die Inszenierung (German Edition)
Strafe. Das habe ich verdient. Ich könnte mir in jedem Augenblick sagen, dass ich hier gar nicht wohnen, nicht leben kann. Ab, zurück ins Vaterland, stell dich der Schande, dem moralischen Bankrott. Dieses Haus hier wehrt sich gegen mich. Alles ist sauber. Sie haben die Bettwäsche zum Dry Cleaning gebracht. Trotzdem, es herrscht ein Geruch, der mir fremd bleibt. Es ist der Geruch des Lebens eines Ehepaars, das hier gelebt hat und das nun, um endgültig in Miami zu leben, hier ausgezogen ist. Ich kann lüften. Alle Türen gleichzeitig öffnen. Im ganzen Haus herrscht dann frische Luft. Sobald ich die Türen schließe, herrscht wieder dieser Geruch. Der Geruch des Lebens dieses Ehepaars. Soll ich die Bilder abhängen? Im Schlafzimmer, wandbreit, zwei Hunde am Rand eines Wassers, müssen den Fasanen nachsehen, die sie aufgescheucht haben und verfolgen wollen. Ja, der Chester River hat Ebbe und Flut. Das ist das einzige Tröstliche. Dass das Klo schon beim Wasser Schluckbeschwerden hat, kann ich wahrscheinlich reparieren lassen. Dir, dem Theatermann, kann das bekannt vorkommen. Jeder hat seine Rolle. Um es überhaupt in unserer Geliefertheit auszuhalten, können wir uns als Objekte eines kosmischen Castings sehen. Wenn die Heizungsbleche wieder abkühlen, weil die Heizung aussetzt, finden rundum kleine scharfe Explosionen statt. Man möchte es sich leisten können, geräuschunempfindlich zu sein. Nicht mehr zusammenzuzucken.
Ich habe mich mit Ursula nicht auseinandergesetzt. Ich habe nicht versucht, mich zu rechtfertigen. Das hat mir meine im Beruf erworbene Kondition doch ermöglicht. Ich habe die Vorwurfslawinen über mich ergehen lassen. Vielleicht war Ursula auch enttäuscht von meiner Reaktionslosigkeit. Ich habe zugehört. Aufmerksam. Keine Mimik. Nur aufmerksam. Dass es mir leidtut, alles, habe ich einmal ganz deutlich ausgesprochen. Ich habe mich dafür entschuldigt, dass ich sie in diese Lage gebracht habe. Sie hat nicht aufhören können, mir das und das und auch noch dieses und jenes vorzuwerfen.
Ich werde mein erstes Semester hier mit einem Seminar zu Platons Politeia bestreiten. Darin mein Thema: Gerechtigkeit. Weil ich mich hier nicht auf Deutsch beschränken darf, lese ich jetzt jeden Tag Englisches. Zum Beispiel den Webster , dieses bewundernswerte Auskunftsbuch. Gestern stieß ich auf das Wort spiteful . Das Wort versteht man natürlich ohne Lexikon. Es heißt ja genau das, wonach es klingt: spiteful. Dann im Webster: a desire to inflict a wrong or injury on someone, usually in return for one received. Spiteful implies a mean or malicious desire for (often petty) revenge: a spiteful attitude toward a former friend (or wife, ergänze ich da!). Revengeful is a strong word, implying a deep, powerful, and emotional intent to repay a wrong: a fierce and revengeful spirit. Und noch: the unvorgiving nature of the avenger.
Sollte ich das nicht für Ursula kopieren? Diese Sprache ist auch ein Asyl. In ihr ist dafür gesorgt, dass ich empfinden kann. Vielleicht werde ich vollkommen auswandern. Fort von all diesen deutschen Wörtern und Sätzen, die mich verfolgen. Das tun sie nämlich. Something of the sort.
Und Platon. Noch lese ich ihn auf Griechisch und Deutsch. Aber wenn ich ihn auf Englisch lese, bin ich angekommen in diesem Land der Freien.
Entschuldige!
Nur dass auch du siehst, wie viel Hilfe es gibt, wie viel Zuflucht. Platon: … so lasst uns den Gerechten neben den Ungerechten stellen, den schlichten und biedern Mann nach Aischylos, der nicht gut scheinen will, sondern sein. Das Scheinen muss man ihm also nehmen. Denn wenn er dafür gelte, gerecht zu sein, so werden ihm Ehren und Gaben zufallen, weil er als ein solcher erscheint. Also wird es ungewiss sein, ob er des Gerechten wegen oder der Gaben und Ehren wegen ein solcher ist. Er werde also von allem entblößt außer der Gerechtigkeit und in einen ganz entgegengesetzten Zustand versetzt als der vorige. Ohne irgend Unrecht zu tun, habe er nämlich den größten Schein der Ungerechtigkeit, damit er uns ganz bewährt sei in der Gerechtigkeit, indem er auch durch die üble Nachrede und alles, was daraus entsteht, nicht bewegt wird, sondern unverändert bleibe er bis zum Tode, indem er sein Leben lang für ungerecht gehalten wird und doch gerecht ist. Also sagt dann der, der die Ungerechtigkeit lobt, dass der so gesinnte Gerechte gefesselt, gegeißelt, gefoltert, geblendet an beiden Augen werden wird, und zuletzt, nachdem er alles mögliche Übel
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