Die Intrige
obwohl seine Stimme leicht blechern klang, konnte Jonas das Kalkül heraushören. Unwillkürlich ballte er die Fäuste und vertrieb damit die Taubheit in seinen Armen – oh, er hielt den Taser und den Definator tatsächlich noch fest. Letzterer fühlte sich nur ein wenig anders an. Zuvor hätte Jonas ihn als glatt, schlank und elegant beschrieben, als futuristische Version eines Blackberrys, Palms oder iPhones vielleicht. Doch nun schien er etwas Gröberes, Raues in den Händen zu halten.
Mein Tastsinn ist wohl noch nicht ganz in Ordnung, dachte er. Aber was macht das schon?
» Mir
geht’s gut«, versicherte er HK. »Ich muss nirgendwo hin. Aber vielleicht will Katherine –«
»Ich. Bleibe. Auch.« Es war beeindruckend, wie sie es fertigbrachte, ihre Stimme so drohend klingen zu lassen, obwohl sie hilflos am Boden lag.
»Wenn die Zeitkrankheit genauso verläuft wie Seekrankheit, geht es ihr sicher bald besser«, sagte Chip tröstend. »Niemand bleibt lange seekrank, wenn er erst mal an Land ist, stimmt’s? Und wir sind jetzt gelandet.« Er gab ein Geräusch von sich, das halb Kichern, halb Schnauben zu sein schien, und fast unbekümmert fügte er hinzu: »He, Katherine, vielleicht gefällt es dir ja im fünfzehnten Jahrhundert, wenn es dir erst bessergeht, und du entschließt dich zu bleiben. Vielleicht hast du ja Lust, die
Königin
von England zu werden!«
Moment mal, du redest hier von meiner Schwester!, wollte Jonas gerade sagen. Doch HK kam ihm zuvor.
»Übrigens gibt es zwei Arten von Zeitkrankheit, und Katherine leidet zweifellos an beiden«, sagte er. »Die eine entsteht nur beim Reisen durch die Zeit selbst. Für Katherine hat sich das wahrscheinlich schlimmer angefühlt, weil es ihre erste Reise war.«
Meine auch, wollte Jonas einwenden. Doch das stimmte nicht. Er, Chip und Alex waren als Kleinkinder schon einmal durch die Zeit gereist, fiel ihm ein. Vor ihrer Bruchlandung. Er wusste nicht genau, wie Gary und Hodge diese Reise bewerkstelligt hatten. Vielleicht hatte Jonas als Baby sämtliche Epochen durchquert und in jedem Jahrhundert kurz angehalten, damit die »Retter« weitere Kinder aufnehmen konnten. Vielleicht war er genau wie der Junge, den er aus der Schule kannte, der schon um den ganzen Globus gereist war, sich aber an nichts erinnern konnte, weil sich alles vor seinem ersten Geburtstag abgespielt hatte.
»Die andere Art von Zeitkrankheit entsteht, wenn man sich im falschen Zeitalter aufhält«, fuhr HK fort. »Es ist ziemlich kompliziert und schwer zu erklären, aber … vielleicht kann ich es Kindern aus dem einundzwanzigsten Jahrhundert so am besten erklären. Wisst ihr, woher euer Körper kommt?«
»Wollen Sie uns etwa die Geschichte von den Bienchenund den Blumen auftischen?«, maulte Katherine.»Jetzt? In dieser Situation?«
Anscheinend ließ ihre Empörung sie die Zeitkrankheit zumindest vorübergehend überwinden. Sie richtete sich sogar ein wenig auf.
»Nein, nein. Vielleicht liege ich mit meiner Vorstellung von eurem Zeitalter ein bisschen daneben, aber ich meine die
Bausteine
eures Körpers«, verbesserte sich HK schnell.
»Spielen Sie darauf an, dass das Zeug, aus dem wir bestehen, die Kohlenstoff- und Sauerstoffatome und so weiter, schon seit dem großen Urknall im Universum herumschwirren?«, fragte Alex.
»Cleopatra hat meine Luft eingeatmet«, murmelte Katherine.
»Sie hat Wahnvorstellungen!«, sagte Chip.
»Nein, sie hat recht«, sagte Alex. »Habt ihr noch nie von der Theorie gehört, dass zu jedem beliebigen Zeitpunkt mindestens ein Atom in eurer Lunge wahrscheinlich früher einmal in Cleopatras Lunge war? Oder in der von George Washington, Albert Einstein oder Martin Luther King, oder wen immer ihr euch aus der Geschichte raussucht?«
»Also hat Katherine im Moment einfach die falsche Luft in der Lunge?«, fragte Chip. Jonas konnte nicht besonders gut sehen, meinte aber zu erkennen, dass Chip jetzt neben Katherine kniete und ihr auf den Rücken klopfte. »Atme sie aus!«
Katherine hustete schwach.
»Es ist nicht nur die Luft«, sagte HK. »Jedes Atom, aus dem sich ihr Körper im einundzwanzigsten Jahrhundert zusammensetzt, war, sagen wir mal, im fünfzehnten Jahrhundert anderweitig beschäftigt. Das Gleiche gilt für Jonas, der ebenfalls nicht hierhergehört.«
»Dann wäre
jeder
, der durch die Zeit reist, in einem anderen Zeitalter fehl am Platz und ein Störfaktor«, wandte Alex ein. »Außerdem hätten Chip und ich dann sicher auch einige Atome aus der
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