Die Invasion - 5
möglichst ruhig zu klingen - vor allem, wenn sie eigentlich etwas gänzlich anderes empfanden. Und genau dies, dessen war sich Clyntahn sicher, war auch jetzt der Fall.
»Meine Tür steht stets jedem Kind Gottes offen, das das Bedürfnis hat, mich zu sprechen, Euer Eminenz. Und wenn dies für alle Kinder Gottes gilt, um wie viel mehr muss es dann für meine eigenen Brüder aus dem Episkopat gelten? Bitte, sagen Sie mir, was ich für Sie tun kann!«
»Eigentlich, Euer Exzellenz ...« Stantyn beendete den Satz nicht, und einen kurzen Moment lang wirkte er wie jemand, der sich plötzlich fragte, was er hier eigentlich tat. Doch auch das war Clyntahn durchaus gewohnt.
»Kommen Sie, Euer Eminenz!«, schalt er seinen Besucher. »Wir wissen doch beide, dass Sie mich niemals zu so später Stunde aufsuchen würden, wenn Sie nicht der Ansicht wären, es sei absolut unerlässlich, dass wir miteinander sprechen. Und ich fürchte, das Amt, das ich nun einmal bekleide, hat mich für jegliche Form der Zögerlichkeit ein wenig ... arg sensibel gemacht. Sie können nicht mehr einfach so tun, als hätten Sie sich nicht regelrecht gezwungen gesehen, hierherzukommen.«
Stantyn blickte ihn an, und seine Gesichtszüge schienen regelrecht in sich zusammenzufallen. Irgendetwas geschah gerade in seinem tiefsten Innersten - etwas, das Clyntahn schon öfter miterlebt hatte, als er mitzuzählen vermocht hätte.
»Ihr habt Recht, Euer Exzellenz.« Der Erzbischof flüsterte beinahe. »Ich habe mich wirklich gezwungen gesehen, zu Euch zu kommen. Ich ... ich habe Angst. Es geschieht einfach zu viel. Die Ansprache des Großvikars, was sich in Ferayd zugetragen hat, dieser offene Widerstand der Charisianer ... Das alles ändert unsere gesamte Lage, es ändert den Boden, auf dem wir gerade stehen, und alles, was mir vorher noch so klar und deutlich schien, ist es jetzt nicht mehr.«
»Was meinen Sie ... Nyklas?«, fragte Clyntahn mit sanfter Stimme, und Stantyn holte tief Luft.
»In den letzten Jahren, Euer Exzellenz, war ich in etwas ... verwickelt, an dem auch andere hier im Tempel teilhaben. Anfänglich, und auch über lange Zeit, war ich mir sicher, genau das Richtige zu tun. Diese anderen sind allesamt Männer, die ich schon seit vielen, vielen Jahren kenne und schätze, und was sie gesagt haben, erschien mir ganz und gar sinnvoll. Aber jetzt, wo dieses Schisma alles verändert, bin ich mir nicht mehr so sicher. Ich habe Angst, dass das, was mir so sinnvoll erschien, in Wirklichkeit etwas gänzlich anderes ist.«
Fast flehentlich blickte er Clyntahn in die Augen, und es bedurfte sämtlicher, jahrzehntelanger Erfahrung des Großinquisitors, sein Gegenüber weiterhin nur sanft anzublicken, statt die Augen nachdenklich und angespannt zusammenzukneifen. Was Stantyn hier wollte, war das Versprechen der Inquisition, ihm Immunität zu gewähren, bevor er mit dem fortfuhr, was ihn eigentlich hierhergetrieben hatte. Und dass ein Erzbischof seines Alters glaubte, diese Immunität zu brauchen, ließ vermuten, dass das, was ihn hierhergebracht hatte - was auch immer es nun sein mochte -, möglicherweise von enormer Bedeutung war.
»Nehmen Sie doch bitte wieder Platz, Nyklas!«, sagte Clyntahn besänftigend. »Ich weiß, wie schwer derartige Momente sein können. Und ich weiß, wie erschreckend es sein kann, sich selbst eingestehen zu müssen, man sei vielleicht einem Irrtum erlegen. Doch Mutter Kirche ist Gottes liebende und liebevolle Dienerin. Selbst jene, die einem Irrtum erlegen sind, mag sie wieder in die Arme schließen, wenn sie erst einmal ihren Fehler erkannt haben und sich voller Reue an sie wenden.«
»Ich danke Euch, Euer Exzellenz.« Stantyn war kaum noch zu verstehen, und einen kurzen Moment lang glaubte Clyntahn schon, sein Gegenüber werde in Tränen ausbrechen. »Ich danke Euch!«
»Und jetzt ...«, fuhr Clyntahn fort und setzte sich ebenfalls in einen Sessel, während Stantyn wieder Platz nahm. »Warum fangen Sie nicht einfach ganz am Anfang an?«
»Es hat schon vor einigen Jahren angefangen«, begann Stantyn. »Kurz nachdem Ihr in das Amt des Großinquisitors berufen wurdet, hat mich Erzbischof Zhasyn angesprochen. Ich kannte ihn nicht so gut wie manchen anderen aus dem Episkopat, aber ich habe ihn stets respektiert und bewundert. Als er mich einlud, mit ihm über unsere gemeinsamen Pflichten als Erzbischöfe von Mutter Kirche zu sprechen, war ich zugleich überrascht und, das werde ich wohl zugeben müssen, auch
Weitere Kostenlose Bücher