Die irische Signora
sie, wie man Italienisch für Anfänger lehrte, sie hatte sich die Sprache schließlich selbst beigebracht.
Ob dieser Mann an Jerrys Schule, der Italienisch-Liebhaber, von dem Tony O’Brien erzählt hatte, vielleicht etwas für sie wußte … vielleicht kannte er ja eine Gruppe von Leuten, die an Italienischstunden interessiert war? Das Gehalt spielte gar keine so große Rolle, Hauptsache, sie konnte diese schöne Sprache wieder sprechen, sich die italienischen Laute auf der Zunge zergehen lassen.
Wie hatte er noch mal geheißen? Mr. Dunne? Ja, genau, Mr. Aidan Dunne. Nun, fragen kostete nichts, und wenn er Italien wirklich liebte, würde er ihr bestimmt helfen.
Die Signora setzte sich in den Bus und fuhr zur Schule. Ach, wie anders sah es hier doch aus als an ihrer Vista del Monte, wo jetzt an den Hängen bestimmt schon die Sommerblumen blühten! Hier auf dem Schulhof dagegen müllübersäter Asphalt, ein baufälliger Fahrradschuppen, und das Schulgebäude hätte einen Anstrich bitter nötig gehabt. Warum ließ man nicht wenigstens ein bißchen Grünzeug die Wände hochranken?
Die Signora wußte, daß eine kommunale Schule über keinerlei Stiftungsmittel oder Spenden für Verschönerungsmaßnahmen verfügte. Doch war es dann ein Wunder, daß Kinder wie Jerry Sullivan nicht gerade stolz auf ihre Schule waren?
»Er ist wahrscheinlich im Lehrerzimmer«, bekam sie von einer Gruppe Jugendlicher zur Antwort, als sie nach Mr. Dunne, dem Lateinlehrer, fragte.
Also klopfte sie an die Tür des Lehrerzimmers, und ein Mann mit schütterem braunen Haar und ängstlichem Blick öffnete. Er war hemdsärmelig, doch sie sah hinter ihm über einer Stuhllehne sein Jackett hängen. Offensichtlich waren alle anderen Lehrer während der Mittagspause nicht im Haus, nur Mr. Dunne hielt die Stellung. Die Signora hatte einen älteren Mann erwartet, vielleicht weil er eine alte Sprache lehrte. Doch dieser Mann war höchstens so alt wie sie selbst. Na ja, nach heutigen Maßstäben war das alt, man war dem Ende des Berufslebens näher als seinem Anfang.
»Ich wollte mich mit Ihnen über Italien und Italienisch unterhalten, Mr. Dunne«, sagte sie.
»Ich wußte, daß eines Tages jemand kommen und genau das sagen würde«, strahlte er sie an.
Auch sie lächelte, und es war sofort klar, daß sie gute Freunde werden würden. In dem großen unordentlichen Lehrerzimmer mit Blick auf die Berge saßen sie beisammen und unterhielten sich, als ob sie einander schon immer gekannt hätten. Aidan Dunne erzählte ihr von seinem Herzenswunsch, dem Abendkurs, und auch von der herben Enttäuschung, die er an ebendiesem Vormittag hatte einstecken müssen, weil nämlich die Mittel für einen solchen Kurs nicht genehmigt werden würden. Nun würden sie sich niemals eine qualifizierte Lehrkraft leisten können. Zwar hatte der künftige Direktor eine kleine Summe aus den ihm zur Verfügung stehenden Geldern in Aussicht gestellt, doch sie würde gerade eben für die Renovierung der Klassenzimmer reichen. Er habe schon befürchtet, meinte Aidan Dunne, er müsse das ganze Projekt fallenlassen, doch jetzt sehe er einen Hoffnungsschimmer am Horizont.
Die Signora erzählte ihm, daß sie lange Jahre in Sizilien gelebt habe und deshalb nicht nur die Sprache, sondern auch ein bißchen etwas von der Kultur vermitteln könne. Man könnte beispielsweise eine Unterrichtseinheit zu italienischen Künstlern, zu Bildhauern und Freskenmalern anbieten, und dann eine zu italienischer Musik, Opern ebenso wie Kirchenmusik. Und dann gäbe es ja noch die Weine und das Essen, Obst und Gemüse und
frutti di mare
, tja, und natürlich die ganzen Redewendungen, die man im Urlaub gut brauchen konnte. Italienischstunden konnten ja so viel mehr sein als nur trockene Grammatik und Vokabelpauken.
Mit ihren glänzenden Augen sah sie jetzt sehr viel jünger aus als die Frau, die schüchtern an der Tür des Lehrerzimmers gestanden hatte. Aidan hörte, wie der Lärm der Kinder im Gang draußen lauter wurde, ein Zeichen, daß die Mittagspause fast vorüber war. Gleich würden die anderen Lehrer hereinkommen, und der Zauber war verflogen.
Die Signora erriet seine Gedanken. »Ich bin schon zu lange geblieben, Sie haben zu tun. Aber vielleicht könnten wir uns ein andermal weiter darüber unterhalten?«
»Um vier ist die Schule aus. Gott, jetzt rede ich schon wie die Kinder«, lächelte Aidan.
Die Signora lächelte zurück. »Es muß wundervoll sein, in einer Schule zu arbeiten. Denn da
Weitere Kostenlose Bücher