Die irische Signora
Arbeitslosen und Kriminellen wimmelt, anstatt bei deiner Familie. Und das soll wohl auch so bleiben, ja?«
»Es ist sehr lieb von dir, Mutter, daß du mir ein Zuhause anbietest, aber wir sind uns doch sehr fremd geworden. Ich habe zu lange woanders gelebt und meine kleinen Eigenheiten entwickelt, und du bestimmt auch. Da dich mein Leben nie interessiert hat, würden dich meine Geschichten ja doch nur langweilen. Aber vielleicht kann ich ab und an vorbeischauen. Und vielleicht kannst du mir sagen, ob sich Vater über einen Besuch von mir freuen würde?«
»Ach, deine Besuche kannst du dir an den Hut stecken. Du bist hier bei uns nicht erwünscht, und damit basta.«
»Wenn das stimmen sollte, würde es mir sehr leid tun. Schließlich habe ich mich ehrlich bemüht, den Kontakt mit euch allen aufrechtzuerhalten. Brief um Brief habe ich geschrieben, ohne je eine Antwort zu bekommen, ohne je etwas von meinen sechs Nichten und fünf Neffen zu erfahren. Dabei würde ich sie zu gern kennenlernen, jetzt, da ich wieder da bin.«
»Nun, keiner von uns will irgend etwas mit dir zu tun haben, das kann ich dir versichern. Du spinnst ja wohl, wenn du glaubst, du kannst hier so einfach reinschneien und so tun, als wäre nie was gewesen. Und was hätte nicht alles aus dir werden können! Sieh doch nur mal deine ehemalige Freundin Brenda an, was für eine nette und gepflegte Frau das heute ist, verheiratet, eine prima Stellung und alles. So eine Tochter wünscht sich jede Frau!«
»Nun, du hast ja noch Rita und Helen«, ergänzte die Signora. Dieses Mal fiel das Schnauben etwas leiser aus, doch zeigte es unmißverständlich, daß auch diese beiden die mütterlichen Erwartungen enttäuscht hatten. »Jedenfalls können wir jetzt, da ich wieder da bin, vielleicht mal zusammen essen gehen, oder ich hole dich ab, und wir trinken irgendwo in der Stadt zusammen Tee. Außerdem werde ich mich in dem Heim erkundigen, ob Vater mit einem Besuch von mir einverstanden ist.«
Und wieder Schweigen. Für ihre Mutter kam das alles ein bißchen zu plötzlich. Die Signora hatte bewußt ihre Adresse nicht genannt, nur das Viertel, in dem sie wohnte. So konnten ihre Schwestern sie nicht dort aufstöbern und belästigen. Und sie hatte keine Gewissensbisse deswegen. Denn diese Frau hier liebte sie nicht, ihr Wohlergehen war ihr egal, sie hatte in all den Jahren nicht ein einziges Mal ihre Freundschaft oder auch nur Kontakt zu ihr gesucht.
Die Signora stand auf und wollte gehen.
»Immer noch die Nase oben, was? Dabei bist du jetzt schon eine ältere Frau. Glaub bloß nicht, daß irgendein Mann in Dublin dich noch nimmt mit deiner Vergangenheit. Ich weiß, daß es heutzutage Scheidung und all diese Sachen gibt, die deinem Vater das Herz gebrochen haben, aber kein Mann in ganz Irland wird sich mit einer fünfzigjährigen Frau wie dir einlassen, die so lange einen anderen hatte.«
»Tja, Mutter, deshalb trifft es sich gut, daß ich keinerlei Pläne in dieser Richtung habe. Ich schreibe dir kurz, bevor ich wieder vorbeischaue, in drei, vier Wochen ungefähr.«
»Wochen?« fragte ihre Mutter ungläubig.
»Ja. Und vielleicht bringe ich dann einen Kuchen oder einen Kirschstrudel von Bewley’s zum Tee mit. Mal sehen. Bis dahin meine herzlichsten Grüße an Helen und Rita. Sag ihnen, daß ich auch ihnen schreiben werde.«
Und noch ehe ihre Mutter wußte, wie ihr geschah, war die Signora schon wieder verschwunden. Der Signora war klar, daß ihre Mutter binnen Sekunden am Telefon sein würde, um ihre anderen Töchter anzurufen. So etwas Aufregendes war schließlich seit Jahren nicht mehr passiert.
Die Signora empfand nicht einmal Trauer. Das lag schon lange hinter ihr. Sie hatte auch keine Schuldgefühle. Denn schließlich war sie nur sich selbst verantwortlich, sie mußte lediglich Sorge dafür tragen, daß sie gesund, stark und unabhängig blieb. Und sie durfte sich auch nicht zu sehr in die Sullivan-Familie drängen, obwohl sie die hübsche Tochter sehr gern mochte und der mürrische Sohn ihre mütterlichen Instinkte weckte. Brenda und Patrick, dem erfolgreichen Aufsteigerpaar im Dublin von heute, durfte sie ebenfalls nicht zur Last fallen. Und die Boutiquen konnten ihr nicht garantieren, daß ihre hochwertigen Stickereiarbeiten auch Käufer finden würden.
Deshalb brauchte sie unbedingt ein zweites Standbein, irgendeine Stellung als Lehrerin. Daß sie keine besonderen Qualifikationen vorweisen konnte, machte vielleicht gar nichts; immerhin wußte
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