Die Jäger des Lichts (German Edition)
sich so untilgbar in mein Bewusstsein graben werden, wie sie auf der Tafel in Stein gemeißelt sind.
LASST GENE NICHT STERBEN
Seit Jahren die ersten Worte meines Vaters für mich, über mich. Ein Flüstern aus der Vergangenheit, das zu einer Brise anschwillt und dann zu einem Sturm wird. Ein elektrischer Schlag schießt durch meinen Körper, und ich spüre, wie das Eis in meinem Mark schmilzt und knackt. Und obwohl es eine Welle aus Licht, Hoffnung und Kraft ist, die mich durchströmt, kann ich einfach nicht anders, als auf die Knie zu sinken.
Jacob und David sind als Erste bei mir und heben mich hoch. Ich spüre, wie sie mir auf den Rücken klopfen, ihre Stimmen sind laut, aber nicht mehr kreischend, sie drückensich an mich, doch es fühlt sich irgendwie nicht mehr aufdringlich an. Sie haben ihre Arme um meinen Rücken gelegt, um mich zu stützen. Verblüffung macht sich in ihren Gesichtern breit, dann ein Lächeln und ein einladendes Leuchten in ihren Blicken. Sissy kneift die Augen zu und presst aufgeregt ihre Fäuste an die Lippen. Als sie die Augen wieder öffnet, um mich anzusehen, ist ihr Blick brennend und zärtlich.
»Ich wusste es«, sagt sie. »Es ist kein Zufall, dass du hier bist, Gene. Du solltest von Anfang an bei uns sein, ein Teil unserer Gruppe.«
Ich sage nichts, sondern spüre nur, wie das Flusswasser von meinem Körper tropft. Der Wind frischt auf, und ich fange an zu zittern. Sie schlingt ihre Arme um mich und drückt mich fest an sich. Ich bin immer noch nass, doch das stört sie nicht.
»Sei kein Fremder mehr«, flüstert sie mir ins Ohr, so leise, dass die Worte nur für mich allein gedacht sein können, und dann zieht sie mich ein letztes Mal an sich, bevor wir uns voneinander lösen. Ihr Gesicht und ihre Brust sind feucht, als sie die Decke, die Ben gebracht hat, über meine Schultern breitet. Die Sonne scheint auf das Boot, auf den Fluss und auf uns.
3
Es passierte in der zweiten Klasse. In der Nacht, in der ich beinahe bei lebendigem Leib gefressen wurde, saß ich allein in der Ecke der Cafeteria. Ich war früh zum Mittagessen gegangen, sodass der Saal noch relativ leer war, was einer der Hauptgründe für mein Überleben an jenem Abend sein sollte. Zu Ehren des Geburtstags des Herrschers gab es spezielles, besonders blutiges und saftiges Kunststeak. Alle aßen mit Eifer, Zähne gruben sich in das Fleisch, Blut sickerte in Tropfschalen.
Ich biss in das Kunstfleisch und spürte, wie das Blut herausquoll wie Wasser aus einem Schwamm. Nur mühsam konnte ich die wildartige Beschaffenheit ignorieren. Den Würgereiz, den ein Biss in blutiges Kunstfleisch früher auslöste, hatte ich schon lange überwunden, doch dieses neue Gedenkfleisch war besonders widerlich. Ich atmete tief und kontrolliert ein und achtete darauf, meine Nasenlöcher nicht zu weiten. Ich schloss in gespieltem Entzücken die Augen und biss erneut in das Fleischstück.
Wegen eines stechenden Schmerzes im Gaumen hätte ich beinahe das Gesicht verzogen. Ich hielt inne, die Zähne noch in das Fleisch gegraben. Blut sammelte sich in meiner Mundhöhle, und ich ließ es herausfließen. Über mein Kinn in meine Tropfschale. Beim nächsten Biss schoss der Schmerz in einem grellen Blitz durch meinen ganzen Schädel. Ich musste mich mit aller Macht zusammenreißen, um nicht laut aufzuschreien. Die Zähne nach wie vor in dem Fleisch hielt ich die Augen wie vor Seligkeit geschlossen und versuchte die Tränen zurückzudrängen, die sich hinter meinen Lidern sammelten.
Und hinter dem schwarzen Vorhang meiner geschlossenen Augen hörte ich auch ein erstes Zischen und das Knacken von Gelenken, das aus allen Ecken der Cafeteria herüberdrang und stetig anschwoll. Ich wartete ein paar quälende Sekunden lang, bis ich sicher war, dass meine Augen getrocknet waren, bevor ich sie öffnete.
Meine Mitschüler zuckten vor Erregung, Speichel mischte sich mit dem Blut, das ihr Kinn herunterfloss. Einige machten sich mit neuem Eifer über ihr Steak her, weil sie irrtümlich glaubten, dass das Fleischstück in ihrer Hand den verlockenden Duft verströmte. Andere hoben schnuppernd die Nase und witterten etwas vollkommen anderes.
Ich biss erneut in das Fleisch, ohne zu begreifen, was los war. Wieder verspürte ich einen stechenden Schmerz im Zahnfleisch. Blut sammelte sich in meinem Mund. Aber etwas an diesem Blut war anders.
Es war warm.
Ich begriff nicht. Ich spuckte das überfließende Blut aus und spürte die Wärme noch deutlicher auf
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