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Die Jagd auf die Venus

Die Jagd auf die Venus

Titel: Die Jagd auf die Venus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Wulf
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natürlichen Welt sehen. Robert Hooke spähte durchs Mikroskop und fertigte detaillierte Stiche von vergrößerten Samen, Fliegen und Würmern an  – er hat den Begriff »Zelle« für die Grundeinheit des Lebens geprägt. In den nordamerikanischen Kolonien experimentierte Benjamin Franklin mit Elektrizität und Blitzableitern, um menschlicher Kontrolle zu unterwerfen, was bislang als Ausdruck göttlicher Rage galt. Langsam wurden die Naturvorgänge klarer. Kometen galten nicht mehr als Vorboten des Zorns Gottes,
sondern waren, wie Halley bewiesen hatte, vorhersagbare Himmelsereignisse. 1755 hatte Immanuel Kant die Vermutung geäußert, das Universum sei viel größer, als seine Zeitgenossen glaubten, und bestehe aus zahllosen riesigen »Welteninseln«  – »Galaxien« würden wir heute sagen.
    Die Menschheit glaubte, sie schreite auf dem Weg des Fortschritts unaufhaltsam voran. In London, Paris, Stockholm, Sankt Petersburg, sogar in Philadelphia in den nordamerikanischen Kolonien wurden wissenschaftliche Gesellschaften gegründet, um dieses neu erworbene Wissen zu erfassen und auszutauschen. Beobachtung, Untersuchung und Experiment waren die Bausteine des neuen Weltverständnisses. Da Fortschritt das Leitmotiv des Jahrhunderts war, beneidete jede Generation die nächste. Während die Renaissance den Blick auf das Goldene Zeitalter der Vergangenheit gerichtet hatte, blickte die Aufklärung zuversichtlich in die Zukunft. Ref 3
    Halleys Plan, den Venus-Transit als Werkzeug zur Himmelsvermessung zu verwenden, war aus den Errungenschaften des vorhergehenden Jahrhunderts erwachsen. Bis zum Anfang des 17. Jahrhunderts hatte man den Himmel mit bloßem Auge beobachtet, doch der technische Fortschritt holte jetzt langsam die ehrgeizigen Pläne und Theorien der Wissenschaften ein. Die Blickrichtung der Astronomie hatte sich verändert: Es ging nicht mehr um die Kartierung der Sterne, sondern um das Verständnis der Planetenbewegungen. Anfang des 16. Jahrhunderts hatte Nikolaus Kopernikus die revolutionäre These aufgestellt, dass nicht die Erde, sondern die Sonne den Mittelpunkt des Sonnensystems bildet und von den Planeten umkreist wird  – ein Modell, das zu Beginn des 17. Jahrhunderts von Galileo Galilei und Johannes Kepler bestätigt und erweitert worden war. Entscheidend für das Verständnis des Universums aber wurde Isaac Newtons bahnbrechendes Buch Principia von 1687, in dem er die fundamentalen, für alle Körper geltenden Bewegungs- und Gravitationsgesetze darlegte. Wenn Astronomen nun die Sterne beobachteten, waren sie nicht mehr auf der Suche nach Gott, sondern nach den das Universum regierenden Gesetzen.

    Eine Abbildung des ptolemäischen und tychonischen Planetensystems.
    Zu jener Zeit, als Halley seine Astronomie-Kollegen dazu aufrief, den Durchgang der Venus zu beobachten, glaubte man, das Universum arbeite wie ein von göttlicher Hand geschaffenes Uhrwerk nach Gesetzen, die die Menschheit nur zu verstehen und zu berechnen brauche. Position und Bewegungen der Planeten begriff man nicht mehr als willkürlich von Gott bestimmt, sondern man ging davon aus, dass sie auf Naturgesetze gegründet und damit geordnet und vorhersagbar seien. Doch noch immer war den Astronomen die tatsächliche Größe des Sonnensystems unbekannt und damit ein wichtiges Teil des Himmelspuzzles. Ref 4
    Die Abmessungen des Himmels zu verstehen, sei schon »immer ein wichtiger Gegenstand astronomischer Forschung« gewesen, sagte der amerikanische Astronom und Harvard-Professor John Winthrop im Transit-Jahrzehnt. Bereits Anfang des 17. Jahrhunderts hatte Kepler entdeckt, dass sich die relative Entfernung zwischen der Sonne und einem Planeten ausrechnen ließ, wenn man wusste, wie lange der Planet braucht, um die Sonne zu umkreisen (je länger die Umrundung dauert, desto weiter ist er entfernt). 2 Daraus hatte er die Entfernung zwischen Erde und Sonne im Verhältnis zu den anderen Planeten ableiten können  – eine Maßeinheit, die zur Grundlage für die Berechnung von relativen Entfernungen im Universum wurde. 3 Beispielsweise wussten die Astronomen, dass die Entfernung zwischen Erde und Jupiter fünfmal so groß ist wie die Entfernung zwischen Erde
und Sonne. Das Problem bestand allerdings darin, dass bis dahin noch niemand in der Lage gewesen war, die Entfernung genauer zu beziffern.
    Die Astronomen des 18. Jahrhunderts hatten eine Karte des Sonnensystems, aber sie hatten keine Ahnung von seiner wirklichen Größe. Ohne zu

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