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Die Jagd auf die Venus

Die Jagd auf die Venus

Titel: Die Jagd auf die Venus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Wulf
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wissen, wie weit die Erde tatsächlich von der Sonne entfernt ist, war eine solche Karte so gut wie nutzlos. Nach Halleys Auffassung war die Venus der Schlüssel zur Lösung dieses Rätsels. Als hellster Stern am Himmel wurde die Venus zur idealen Metapher für das Licht der Vernunft, das die neue Welt erleuchten und die letzten Spuren des finsteren Mittelalters verwischen sollte.
     
    Anders als die meisten Astronomen, deren Leben von der ständig wiederkehrenden Mühe ihrer nächtlichen Beobachtungen beherrscht wurde, hatte Halley sich aufregenderen Aufgaben verschrieben  – was vermutlich der Grund war, warum er sich vorstellen konnte, dass eine Schar abenteuerlustiger Astronomen lange nach seinem Tod bereit sein würde, in alle Welt auszuschwärmen. Halley war nicht nur der Mann, der anderthalb Stunden in einer Taucherglocke fast zwanzig Meter tief in der Themse verbracht hatte, er war auch der erste Europäer, der drei Expeditionen in den Südatlantik unternommen hatte, um den südlichen Nachthimmel mit Hilfe eines Teleskops zu kartieren. Halley »spricht, flucht und trinkt Brandy wie ein alter Seebär«, sagte ein Kollege von ihm, aber er war auch einer der genialsten Wissenschaftler seiner Zeit. So hatte er die Rückkehr des nach ihm benannten Halleyschen Kometen vorhergesagt, eine Karte des südlichen Sternenhimmels gezeichnet und Isaac Newton überredet, die Principia zu veröffentlichen . Ref 5
    In der Gewissheit, dass er nicht mehr am Leben sein würde, um die weltweite Zusammenarbeit zur Beobachtung des Venus-Transits zu organisieren  – ein Umstand, den Halley »noch auf seinem Totenbett«, ein Glas Wein in der Hand, beklagte  –, blieb
ihm nichts anderes übrig, als auf künftige Generationen zu vertrauen und zu hoffen, dass sie sich in fünfzig Jahren noch an seine Anweisungen erinnern würden. »In der Tat würde ich mir wünschen, dass viele Beobachtungen dieses einen Phänomens von verschiedenen Personen an weit entfernten Orten vorgenommen würden,« schrieb er. »Das empfehle ich daher wieder und wieder allen wissbegierigen Astronomen, die (nach meinem Tode) Gelegenheit haben werden, diese Dinge zu beobachten.«
    Edmond Halleys Zeichnung der Venus beim Eintritt und Austritt während des Transits.
    Halley forderte seine Nachfolger auf, sich auf ein Projekt einzulassen, das größer und kühner war als alle bisherigen wissenschaftlichen Unternehmen. Die gefährlichen Reisen zu abgelegenen Außenposten würden viele Monate, möglicherweise sogar Jahre dauern. Dabei würden die beteiligten Astronomen ihr Leben für ein Himmelsereignis riskieren, das gerade einmal sechs Stunden dauern und nur bei geeigneten Wetterbedingungen zu sehen sein würde. Ref 6
    Im Vorfeld der Expeditionen mussten die Forscher für die Finanzierung von ausgezeichneten Teleskopen und anderen Instrumenten sowie für Reise, Unterbringung und Gehältern sorgen. Sie mussten ihre Monarchen oder Regierungen dazu bewegen, sie bei ihrer Arbeit zu unterstützen, und ihre eigenen Beobachtungen mit denen in anderen Ländern abstimmen. Miteinander
im Krieg liegende Nationen mussten  – zum ersten Mal  – im Namen der Wissenschaft zusammenarbeiten. Das Projekt konnte nur gelingen, wenn Hunderte von Astronomen von vielen Dutzend Orten ihre Teleskope in genau demselben Augenblick auf den Himmel richteten, um die Venus über die glühende Sonnenscheibe wandern zu sehen.
    Hinzu kam  – was vielleicht noch aufwendiger, wenn auch weniger aufregend war  –, dass sie ihre Ergebnisse mit anderen Forschern teilen mussten. Jeder Beobachter musste seine Beobachtungen in den internationalen Datenpool einfließen lassen. Kein individuelles Ergebnis würde ohne die anderen von Nutzen sein. Um die Entfernung zwischen der Sonne und der Erde zu berechnen, mussten die Astronomen die Zahlen vergleichen und aus den verschiedenen Daten ein eindeutiges Ergebnis ableiten. Die Zeiten, die weltweit mit Hilfe verschiedener Uhren und Teleskope gemessen würden, mussten irgendwie standardisiert und vergleichbar gemacht werden.
    Die Beobachtungen des Venus-Transits würden das ehrgeizigste jemals geplante wissenschaftliche Projekt sein  – ein höchst ungewöhnliches Vorhaben zu einer Zeit, als ein Brief von Philadelphia nach London zwei bis drei Monate brauchte und die Reise von London nach Newcastle sechs Tage dauerte. Es bedurfte schon einer gehörigen Portion Fantasie, vorzuschlagen, dass die beteiligten Astronomen, beladen mit mehr als einer

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