Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Jagd auf die Venus

Die Jagd auf die Venus

Titel: Die Jagd auf die Venus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Wulf
Vom Netzwerk:
Wellen  – konnten ihn aufhalten. Egal, wie stürmisch die Meere und wie nah die feindlichen Kanonen waren, Le Gentil war bereit, sein Leben für Wissenschaft und Erkenntnis zu riskieren. In dieser Nacht, als sie über die raue See gejagt wurden, bereitete sich ein unerschütterlicher Le Gentil auf eine Mondfinsternis vor  – eines der seltenen Ereignisse, mit denen er die genaue Position des Schiffs bestimmen konnte. Als sich die Erde langsam zwischen Sonne und Mond schob, sodass ihr Schatten den Mond verbarg, richtete Le Gentil sein Teleskop auf den verschwindenden Trabanten  – fort von den britischen Kriegsschiffen. Ref 26
    Glücklicherweise war das Wetter auf ihrer Seite: Ein dicker Vorhang aus Nebel und Regen verhüllte Le Gentils Fregatte vor den Blicken der Briten, sodass sie in die Weite des Ozeans entkommen konnte. »Der Nebel schien für uns gemacht zu sein«, schrieb Le Gentil später; mit Hilfe seiner astronomischen Beobachtungen
und der Mondfinsternis war er sogar in der Lage, dem Kapitän bei der Umsegelung des gefährlichen Kap der Guten Hoffnung zu helfen.
    Die Stürme setzten ihrem Schiff jedoch so zu, dass die Segel zu nutzlosen Streifen zerfetzt wurden. Immerhin hatte sich Gentils Seekrankheit gebessert, die ihn so gequält hatte, dass er den Tod als »Erleichterung« herbeigesehnt hatte. Er fühlte sich gut genug, um zu erklären, ihm sei nun »wohler als normalerweise an Land«, daher messe und beobachte er die Sterne, »ohne zu ermüden«. Sechs Wochen kreuzten sie langsam über den Indischen Ozean, bis sie Mauritius (damals Île de France) erreichten.

    Mauritius war eine Zwischenstation auf der französischen Handelsroute nach Indien und wurde daher von der Compagnie des Indes verwaltet; außerdem war es ein wichtiger französischer Marinestützpunkt mit einer florierenden Werftindustrie. Von dort aus führten die Franzosen Angriffe gegen britische Besitzungen in Indien, und  – so hatte man Le Gentil berichtet  – dort würde er auch eine Schiffspassage nach Pondichéry finden. Am 11. Juli ging Le Gentil in Mauritius von Bord  – drei Tage bevor der Royal Society die erforderlichen Mittel von König Georg II. bewilligt wurden. Ref 27
    Seine Reise sei, so berichtete Le Gentil jetzt ziemlich unbekümmert in einem Brief an die Akademie, »denkbar angenehm
und glücklich gewesen«. Doch selbst Le Gentil, mit seiner Begabung, sich auch noch die schrecklichste Begebenheit schönzureden, verzweifelte, als zwei Tage später ein Schiff aus Indien eintraf und die niederschmetternde Nachricht brachte, dass die französischen Besitzungen in Indien unter den britischen Angriffen zerbrachen. Bereits drei Jahre zuvor hatte Robert Clive mit seinem entscheidenden Sieg in der Schlacht von Plassey Bengalen unter britischen Einfluss gebracht. Jetzt war Karaikal, ein französischer Hafen, nur 150 Kilometer südlich von Pondichéry gelegen, von den Engländern eingenommen worden, während Pondichéry selbst  – der Hauptsitz der Compagnie des Indes in Indien  – belagert wurde. Rund 3000 Briten seien, so berichtete der französische Kapitän dem geschockten Le Gentil, »für die Belagerung« nach Pondichéry gesandt worden. Als er die indische Küste 25 Tage zuvor verlassen habe, sei der Feind damit beschäftigt gewesen, »seine Artillerie vor Pondichéry in Stellung zu bringen«. Was die Sache noch schlimmer machte: Einen Großteil der französischen Flotte, die im Marinestützpunkt auf Mauritius stationiert und zur Unterstützung von Pondichéry abgeordnet war, hatte einige Monate zuvor ein Hurrikan vernichtet  – einige Schiffe waren gesunken, andere an den Korallenbänken zerschmettert worden. »Ich weiß nicht, wann ich aufbrechen kann«, schrieb Le Gentil verzweifelt nach Paris. Für den Augenblick saß er jedenfalls auf Mauritius fest. Es sah so aus, als sei die erste französische Expedition bereits gescheitert. Ref 28
    Doch so leicht gab Le Gentil nicht auf. Er beschloss, einen anderen Ort für die Transit-Beobachtung zu finden. Beharrlich sann er auf einen Plan, fürchtete aber, dass er seine Zeit mit »Luftschlössern« verschwendete. Als er Delisles ursprüngliche Liste möglicher Beobachtungsorte durchsah, fiel seine Wahl zunächst auf Jakarta als mögliche Alternative zu Pondichéry, doch schließlich gab er den Gedanken auf. Während er wartete, hatte nicht ein einziges Schiff die Insel angelaufen, geschweige denn Kurs auf Ostindien genommen. Seiner Ansicht nach

Weitere Kostenlose Bücher