Die Jagd auf die Venus
Provinz versetzte. Von dem Leben dort gelangweilt, hatte sich Pingré mit 38 Jahren der Astronomie zugewandt und die Académie in Paris mit wissenschaftlichen Briefen und Aufsätzen bombardiert. Mit seinen Ausführungen über Kometen, Verfinsterungen, Navigation und über den Venus-Transit hatte er sich langsam einen Ruf erworben. Schließlich hatte ihn das Kritikerlob für seine astronomische Forschung sogar innerhalb der Kirche rehabilitiert, sodass ihm gestattet wurde, an die Pariser Abtei Sainte-Geneviève, eine berühmte Bildungsstätte, zurückzukehren. Wie Le Gentil und Delisle hatte Pingré den Durchgang des Merkur im Jahr 1753 beobachtet und mehrfach seine Dienste für die Venus-Expeditionen angeboten. Angesichts seiner Fachkenntnisse waren sich die Adademiemitglieder sicher, dass Pingrés Arbeit ihre Erwartungen »zweifellos übertreffen« würde. So beschloss man, nach Holland und Portugal zu schreiben, um herauszufinden, welche Häfen von Handelsschiffen angelaufen wurden und deshalb für Pingré am leichtesten zu erreichen waren. Ref 31
Wie zu erwarten, waren die Portugiesen und Holländer, die von vornherein wenig Interesse am Transit gezeigt hatten, nicht besonders erpicht darauf, den Franzosen Gelegenheit zur Vermessung ihrer Kolonialbesitzungen zu geben. In ihren Antworten sprachen sie höflich von »vielen Hindernissen«. Rasch wartete die Académie mit einer neuen Strategie auf: Pingré sollte den Transit von einem Teil des französischen Kolonialreichs aus beobachten, wo er sich der Unterstützung durch die lokale Verwaltung sicher sein konnte. Nach einigen Diskussionen entschied
sich die Akademie für Rodriguez, das zum Handelsnetz der französischen Ostindien-Kompanie gehörte. Angeblich war dort der Junihimmel klar (ganz im Gegensatz zu den Informationen, die Le Gentil erhalten hatte), außerdem lag die Insel an der Handelsroute zwischen Frankreich und Indien und befand sich in französischer Hand.
Am 16. November, als Le Gentil mit einem Ruhranfall auf Mauritius das Bett hütete, kam Pingré mit seinen Freunden in Paris zu einem Abschiedsessen zusammen. Der Wein floss in Strömen, das Essen schmeckte hervorragend, und die Stimmung war ausgelassen. Nur Pingré saß stumm dabei. Ausnahmsweise einmal vermochte sich der Franzose, der selbst unter widrigsten Umständen seinen Appetit nicht verlor, nicht zum Essen aufzuraffen. Die letzten hektischen Wochen waren wie im Flug vergangen, doch nun, da er seine Freunde und Kollegen der Pariser Akademie vor sich sah, dämmerte ihm plötzlich, was er zu tun im Begriff war. Das Geplauder seiner Tischgenossen trat in den Hintergrund, während er an seine ungewisse Zukunft dachte. Morgen würde er die Welt, die er kannte, hinter sich lassen und im Namen der Wissenschaft um die Erde reisen. Zwar bereute er nicht, sich freiwillig bereit erklärt zu haben, war aber doch besorgt. Die Berufung, so räumte Pingré ein, habe ihm »außerordentlich geschmeichelt«, doch jetzt begannen ihn die Warnungen der Freunde zu beunruhigen. Sie seien »die ersten gewesen, die um sein Schicksal gebangt hätten«, sagte Pingré, und hätten daher versucht, ihm klarzumachen, dass sein Leben in Gefahr sei. Plötzlich sah er die Reise mit anderen Augen: Möglicherweise warteten auf ihn Tod und Verderben anstelle von Ruhm und Ehre. Da sich ganz Europa im Krieg befand, riskierte er »meine Freiheit, meine Gesundheit und sogar mein Leben«. Ref 32
Besorgt, aber noch immer entschlossen, nahm Pingré am folgenden Tag eine Kutsche nach Lorient an der bretonischen Küste – dem Sitz der Compagnie des Indes –, um sich dort an Bord eines Ostindienfahrers zu begeben. Bei seiner Ankunft verwandelte
sich seine Furcht rasch in Zorn, weil die örtlichen Angestellten beanstandeten, dass er viel zu viel Gepäck habe. Ursprünglich als Kriegsschiff mit 64 Geschützen erbaut, war die Comte d’Argenson zu einem Frachtschiff der Compagnie umgewandelt worden. 38 Geschütze waren entfernt worden, um Platz für Handelswaren und Passagiere zu schaffen – und, wie Pingré glaubte, für seine astronomische Ausrüstung. Empört wies Pingré darauf hin, dass 300 bis 400 Kilogramm Gepäck – Teleskope, Quadranten und die große Pendeluhr – nicht ungewöhnlich für einen Astronomen seien. Trotz Pingrés Einwänden zog sich der Streit wochenlang hin. Die örtlichen Angestellten schienen unter allen Umständen dafür sorgen zu wollen, dass sich Pingrés Abenteuer im Rahmen ihrer Regeln
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