Die Jagd nach dem Vampir
blinzelte ihm zu. »Es war ein Omen.«
Die beiden lachten, als hätte sie gerade einen furchtbar lustigen Witz erzählt. So würde das wohl noch eine Weile weitergehen, denn sie hatten einiges aufzuholen. Ich dagegen hätte am liebsten mit den Zähnen geknirscht, denn nun wusste ich, warum Charlotte vor zehn Tagen unter dem Apfelbaum gestanden hatte. Ihre Pilgerwanderung hatte mich auf die Jagd nach einem Phantom geschickt.
»Meine armen Eltern«, sagte Charlotte wehmütig. »Der Fuß meines Vaters verheilte nie mehr richtig, und weder er noch meine Mutter konnten den Tod meines Bruders verwinden. Sie waren so stolz auf ihn. Sie glaubten, er würde mit seinen noch nicht einmal dreißig Jahren den Nobelpreis bekommen. Seine Klinik lag tief im Busch, und die Landebahn war ziemlich primitiv. Eines Tages schoss sein Flugzeug darüber hinaus, und mein Bruder starb. Danach zogen sich meine Eltern völlig von der Welt zurück. Sie hätten vergessen zu essen, wenn ich mich nicht um sie gekümmert hätte.«
Ich sank immer tiefer in meinen Stuhl. In den vergangenen Tagen hatte ich mir so viele groteske Geschichten über die DuCarals ausgedacht, dass ich es nicht mehr wagte, Charlotte in die Augen zu sehen. Sie war nicht die Sklavin ihrer feigen Eltern gewesen. Sie hatte sich rührend um verzweifelte Menschen gekümmert, die den Tod ihres einzigen Sohnes nicht verkraftet hatten. Und ihr Bruder war keineswegs ein Psychopath gewesen, sondern ein Philanthrop, der sein Leben den Ärmsten der Armen gewidmet hatte. Ich schämte mich so sehr, dass ich am liebsten unter Rorys Bett gekrochen und nie mehr darunter hervorgekommen wäre.
»Meine Aussteuer ist leider nicht mehr das, was sie war«, fügte Charlotte lächelnd hinzu und sah Leo an. »Nach dem Tod meines Bruders vernachlässigte Vater die Finanzgeschäfte. Ich versuchte, den Geldfluss am Laufen zu halten, aber seit zehn Jahren fließt kaum mehr etwas. Ich musste fast das gesamte Personal entlassen und das Mobiliar verkaufen, um über die Runden zu kommen. Immerhin brachten die Möbel eine Menge ein. Ich konnte meiner Mutter dankbar sein, dass sie darauf bestanden hat, überall im Haus schwarze Vorhänge anzubringen. Verblichene Polstermöbel verlieren rasch an Wert.«
»Haben Sie damals auch die Fenster des Dachbodens mit Brettern vernageln lassen?«, fragte Kit.
Charlotte nickte. »Ich habe die Zentralheizung abgeschaltet und nur noch wenige Lampen brennen lassen, um Energie zu sparen und die Nebenkosten niedrig zu halten.«
»Und aus dem gleichen Grund haben Sie das Damwild verkauft«, sagte Kit.
»Sie hat die Herde so lange gehalten, wie es ging, weil ihre Mutter die Tiere so mochte«, warf Rory ein.
»Das Wild war das Einzige, was meiner Mutter noch ein Lächeln abringen konnte«, sagte Charlotte. »Nach ihrem Tod war es ein Luxus, den ich mir nicht mehr leisten konnte.«
»Man hätte Aldercot verkaufen können«, murmelte Rory.
»Ja«, räumte Charlotte ein. »Ich hätte das Haus verkaufen können, und ich stand auch einige Male dicht davor. Aber meine Eltern und mein Bruder liegen dort auf dem Friedhof. Wer hätte sich um die Gräber gekümmert, wenn ich Aldercot verlassen hätte?«
»Du brauchst Aldercot nie mehr zu verlassen«, sagte Leo und legte seinen Arm um sie. »Und es wird dir an nichts mehr mangeln. Wenn du willst, kaufen wir eine Herde Elefanten und die schönsten Möbel, die es gibt. Wir erleuchten das ganze Haus wie einen Weihnachtsbaum und schalten die Heizung auf die höchste Stufe. Und wir stellen so viel Personal ein, dass du nie mehr einen Finger krumm machen musst. Was immer du willst, du sollst es haben.«
Kits Augenbrauen hoben sich gleichzeitig mit meinen. Leo bemerkte unsere skeptischen Mienen und gluckste zufrieden.
»Ich hab Down Under ein bisschen was verdient«, sagte er. »Ein paar Millionen, um genau zu sein. Ja, dein Onkel ist stinkreich, Kit.«
»Aber Sie wohnen in einer Blechbüchse«, brachte ich heraus.
»Ab und zu mag ich es etwas rauer«, sagte Leo. »Das erinnert mich an meine bescheidenen Anfänge und hält mich davon ab, übermütig zu werden. Als dieser fürchterliche Sturm tobte, habe ich mich ins Randolph abgesetzt und mich übers Wochenende von einem meiner Bankiers aushalten lassen. Eine nette Abwechslung.«
Mir fiel die Kinnlade runter, während ich mein Bild von Leo gründlich revidierte. Es war ein langer Weg vom St Bendedict’s, einem Heim für obdachlose Männer, hin zu einem der luxuriösesten Hotels
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