Die Jagd nach den Millionendieben
Wegnahmen.
Aber Tarzan pulte alles Fleisch bis zur letzten Faser von den Hähnchenknochen
und fütterte Oskar.
Als sie zum Zelteingang kamen,
war Kaluschkes Gesicht bläulich angelaufen. Er sah aus, als hätte er sich
mindestens zehn Mal unter den Tisch gebückt, um sein Hähnchen zu suchen. Jetzt
hatte er Schaumbläschen in den Mundwinkeln — vor Wut, und vielleicht auch vor
Hunger.
Er schrie nach der Kellnerin,
aber die ließ sich nicht blicken.
„Dem wird nichts mehr
serviert“, meinte Karl. „Darauf wette ich. Wo sind die Hühnerknochen, Tarzan?
Gib sie Kaluschke, bevor er umfällt. Nein, lieber nicht! Die Knochen könnten
splittern. Und die Strafe wäre zu hart. Mann, daß Oskar ausgerechnet
sein Huhn erwischt, ist nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung...“
Er verstummte und fing still an
zu rechnen, kam aber zu keinem Ergebnis.
„Es ist zehn vor elf“, sagte
Tarzan. „Wir müssen los! Es wäre schäbig, wenn wir Gaby nicht pünktlich
abliefern.“
7.
PP, der Kunstmaler
Als Tarzan und Karl zum
Festplatz zurückkamen, wurde es ruhiger. Einige Buden schlossen bereits.
Betrunkene torkelten heimwärts. Bei den Karussells gingen die Lichter aus. Nur
im Bierzelt hatten sich die Reihen noch nicht gelichtet. Und die
Trachtenkapelle auf ihrem Podium spielte noch lauter als vorhin.
Kaluschke war verschwunden.
„Wahrscheinlich ist er bei der
Polizei“, Karl grinste, „und macht Anzeige wegen Hähnchendiebstahls. Wie gehen
wir jetzt vor?“
Tarzan sah sich um. Die Luft
war dick vom Rauch der Zigaretten, Zigarren und Pfeifen. Dazu roch’s nach Bier,
als wäre ein Faß ausgelaufen. Die Leute saßen Schulter an
Schulter; und die Kapelle mußte
sich anstrengen, um das Stimmengewirr zu übertönen.
„Wir gehen erstmal umher“,
sagte Tarzan. „Wenn uns jemand fragt — wir suchen unseren Vater. Klar? Wenn wir
uns nicht zurecht finden, wird’s auch für Otto nicht leicht. Wie soll er seinen
Komplizen entdecken?“
„Vielleicht bringt Otto ein
geklautes Gemälde mit. Und hält’s hoch. Einen echten Rubens. Oder einen van
Gogh. Ich wette, das könnte er. Und niemand würde sich wundern. Alle würden
denken, er hätte es bei einer Schießbude gewonnen.“
Sie machten sich auf die
Socken. Als sie an der Kapelle vorbei kamen, dröhnten ihnen die Ohren. Gruppen von
Leuten standen überall herum. Man hatte wirklich keinen Überblick.
„Hallo, Otto! Hier bin ich.“
Tarzan hörte die Stimme ganz in
seiner Nähe. Er wäre fast zusammengezuckt, beherrschte sich aber und ging
langsam weiter.
„Otto! Hier!“
Ein Mann mit Faßbauch und
Mopsgesicht war aufgestanden. Von seinem Platz konnte er nicht weg — ein
Dutzend Leute hätte aufstehen müssen. Aber ihm gegenüber waren noch Plätze
frei. Reserviert für Otto. Der hatte jetzt begriffen und drängte sich durch.
Enttäuscht wandte Tarzan sich
ab. Dieser Otto war fast zwei Meter groß. Keine Ähnlichkeit mit dem Bilderdieb.
Vor Tarzan war der Gang
verstopft. Sieben, acht Erwachsene standen dort, unterhielten sich lachend,
hatten Gläser in den Händen und prosteten sich zu.
„Gestatten Sie? Darf ich mal
durch?“ fragte Tarzan.
Ein Mann trat zur Seite. Tarzan
wollte schon weiter. Aber in derselben Sekunde wurde er starr vor Schreck.
Keine drei Schritte entfernt
saß — Rembrandt, der verhaßte Zeichenlehrer Dr. Pauling.
Er saß am Kopfende eines
schmalen Tisches und wandte Tarzan das Profil zu. Das bleiche Gesicht
schwitzte. Das dünne Haar klebte am Kopf, jetzt nahm er die Brille ab, um die
beschlagenen Gläser zu putzen. Und wahrscheinlich war das Tarzans Glück. Denn
ohne Brille sah Pauling keinen Meter weit.
Rasch drehte Tarzan sich um.
Karl, der dicht hinter ihm war, prallte gegen ihn.
„Pauling ist dort!“ zischte
Tarzan. „Weg, bevor er uns sieht.“
In diesem Moment setzte sich
die Gruppe in Bewegung, ging denselben Weg und schirmte — ohne es zu ahnen —
die Jungen ab. Als die beiden den Ausgang erreichten, atmeten sie auf.
„Zum Kuckuck! Wer rechnet denn
damit?“ Vorsichtig linste Tarzan um die Ecke. „Ich denke, der macht Dienst und
kümmert sich um seinen Job. Du, mir zittern die Knie. Das war der Schreck des
Abends. Lieber keile ich mich nochmal mit Rudi Kaluschke.“
„Mit wem sitzt Rembrandt denn
da? Er unterhält sich doch? Oder täusche ich mich?“
„Das ist sein Bruder.“
„Was denn? Höre ich recht?“
Karl war verwundert. „Pauling hat einen Bruder?“
„Hat er. Der, mit dem er
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