Die Jangada
ihr fern vom Vaterhause reifer und zarter entwickelt haben? Auch wenn das Schicksal ihr einst nicht bestimmte, ihrer Mutter in der Bewirthschaftung der Fazenda zu folgen, so fehlte ihr gewiß nichts, um jeder beliebigen Stellung gerecht zu werden.
Mit Benito lag die Sache anders. Sein Vater wünschte, daß er eine so gründliche und vielseitige Ausbildung erlangen sollte, wie sie die großen Städte Brasiliens nur zu bieten vermöchten. Der reiche Fazender brauchte sich für seinen Sohn nichts zu versagen. Benito besaß glückliche Anlagen, einen offenen Kopf und schnelle Auffassungsgabe, neben Eigenschaften des Herzens, welche jenen des Geistes die Waage hielten. Mit dem zwölften Jahre wurde er nach Belem, der Hauptstadt der Provinz Para, gesendet und fand dort bei vortrefflichen Lehrern eine gründliche umfassende Ausbildung, die ihm später eine angesehene Stellung im Leben sichern mußte. In den Wissenschaften, wie in den Künsten blieb ihm nichts fremd. Er lernte, als ob das Vermögen seines Vaters nicht für ihn hingereicht hätte, auch ohne Arbeit zu leben. Er gehörte nicht zu Denen, welche sich einbilden, daß der Reiche müßig leben könne, sondern zu den thatkräftigen Naturen, die sich dieser natürlichsten aller Anforderungen nicht entziehen zu dürfen glauben, da nur die Arbeit den Menschen seines Namens würdig macht.
In den ersten Jahren seines Aufenthaltes in Belem hatte Benito die Bekanntschaft Manoel Valdez’ gemacht. Dieser junge Mann, der Sohn eines Kaufmannes in der Provinz Para, lag seinen Studien in derselben Anstalt ob, wie Benito. Die Uebereinstimmung ihrer Charaktere und ihre Neigungen verband sie sehr bald zu inniger Freundschaft und machte sie zu wahrhaft unzertrennlichen Kameraden.
Der im Jahre 1830 geborne Manoel war ein Jahr älter als Benito. Er besaß nur noch seine Mutter, die von einem bescheidenen, von ihrem seligen Manne hinterlassenen Vermögen lebte. Nach Vollendung seiner Vorbereitungsstudien widmete sich Manoel der Arzneiwissenschaft. Er hatte eine leidenschaftliche Liebe für diesen edlen Beruf und beabsichtigte, in Militärdienste zu treten, wozu er sich besonders hingezogen fühlte.
Zur Zeit, wo wir ihm mit seinem Freunde Benito begegneten, hatte er schon eine erste Anstellung und verweilte jetzt während eines Urlaubes in der Fazenda, wo er von jeher seine Ferien zuzubringen pflegte. Dieser junge Mann von hübschem Aeußeren, vornehmer Erscheinung und mit etwas angeborenem Stolze, der ihm recht gut anstand, verkehrte als ein zweiter Sohn, den Joam und Yaquita zur Familie rechneten. Machte ihn diese Eigenschaft als Sohn des Hauses zum Bruder Benitos, so erschien ihm dieser Name gegenüber Minha noch unzureichend, und bald verband er sich mit dem jungen Mädchen durch ein innigeres Band als das der Geschwisterliebe.
Im Jahre 1852 – von dem zu Anfang unserer Erzählung schon vier Monate verflossen waren – zählte Joam Garral achtundvierzig Jahre. Unter einem verzehrenden Klima, das so schnell den Körper abnutzt, hatte er durch seine Enthaltsamkeit in Genüssen jeder Art, durch strenge Lebensordnung und vernünftige Arbeit da Widerstand geleistet, wo Andere vor der Zeit erliegen. Die kurz geschnittenen Haare und der volle Bart färbten sich schon grau und verliehen ihm das Aussehen eines Puritaners. Die sprichwörtliche Ehrlichkeit der brasilianischen Kaufleute und Fazenders spiegelte sich in seiner Erscheinung wieder, deren hervorragendster Zug die Geradheit seines Charakters war. Wenn auch von ruhigem Temperamente, erkannte man in ihm doch ein inneres Feuer, das nur sein fester Wille niederzuhalten vermochte. Die Klarheit seines Blickes verrieth eine bewußte Kraft, an die er gewiß niemals vergeblich appellirte, wenn es galt, mit seiner Person einzutreten.
Und dennoch konnte man an diesem ruhigen Manne, dem Alles im Leben nach Wunsch gegangen zu sein schien, eine gewisse Traurigkeit nicht verkennen, welche selbst Yaquitas Zärtlichkeit nicht zu besiegen im Stande war.
Warum dieser von Allen hochgeachtete Mann, der sich in den glücklichsten Verhältnissen befand, das nicht auch äußerlich zeigte, warum er seine volle Befriedigung nur in dem Glücke Anderer finden konnte, ob vielleicht ein geheimer
Der Greis verharrte bei seinem Herzenswunsche. (S. 29.)
Kummer an seiner Seele nagte – das waren Fragen, die sich seine Gattin oft voller Besorgniß vorlegte.
Yaquita war jener Zeit vierundvierzig Jahre alt. Hier in dem Tropenlande, wo andere Frauen
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