Die Joghurt-Luege
sich auch die Produzenten der »Weißen Linie« mit der Dumping-Preispolitik der Lebensmittelhändler konfrontiert: Zwar verkaufte der Handel rund 2,4 Millionen Tonnen Joghurt, Quark und andere Milchprodukte mehr als im Vorjahr, doch der Herstellerumsatz in diesem Segment fiel um 19 Millionen (0,4 Prozent) auf 4,36 Milliarden Euro. Fallende Preise gelten als Kundenmagnet, die Entwicklung der vergangenen Jahre führt das deutlich vor Augen. Allein die Preise für Quark gaben 2005 im vierten Jahr nacheinander nach, mit einer Trendwende rechnet niemand. »Die unter dem Druck der EU-Politik planmäßig sinkenden Erzeugerpreise machen Preiserhöhungen vonseiten der Industrie weiterhin nur sehr schwer durchsetzbar«, konstatierte die Lebensmittel Zeitung im Februar 2006. 12 Mit massiver Kritik bedenken zwar Bauernverbände Aktionen wie die der zum Metro-Konzern gehörenden Real-Kette, die einen Tag lang pro Liter Vollmilch unglaubliche 33 Cent verlangte. Doch weil es sich nur um eine Ein-Tages-Kampagne handelte, konnte das umgehend informierte Kartellamt keinen Grund zum Einschreiten entdecken. Die Aktion allerdings sensibilisierte die Verbraucher nachhaltig für »billige Milch«. Warum 90 Cent bezahlen, wenn man den Liter für nur 33 Cent bekommen kann? Dauerhaft niedrige Preise im Supermarkt oder beim Discounter lassen Kunden strömen und helfen dem Absatz auf die Sprünge.
Wer sich dem Billigpreisdiktat der Handelsgiganten nicht fügt, hat schlechte Karten. Der Kampf um jeden Zentimeter Regal ist hart, entsprechend niedrige Einkaufspreise kann der Discounter mit dem Produzenten aushandeln. Derzeit liegen die Konditionsvorteile der großen gegenüber den mittelgroßen Handelsunternehmen beim Einkauf im zweistelligen Prozentbereich. Mit den großen Billiganbietern ins Geschäft zu kommen, ist für kleinere Produktionsfirmen schwierig. Häufig bleibt diesen nur ein Weg: das Konkurrenzprodukt im favorisierten Supermarkt kaufen, analysieren, einen Vergleichstest mit der eigenen Ware anstellen und versuchen, es billiger herzustellen. Um ihr Produkt zu platzieren, müssen Hersteller in der Regel ein »Hochzeitsgeld« entrichten, eine Art Eintrittsgebühr. In der Regel beträgt |25| dieses Listungsgeld 5 bis 10 Prozent des möglichen Umsatzes im ersten Jahr. Dieses Geld kassiert der Handel zusätzlich zur Differenz zwischen Einkaufs- und Verkaufspreis. Wirbt der Discounter dann noch auf Faltblättern, in Postwurfsendungen oder Anzeigen mit diesem Produkt, muss der Hersteller weitere Prozente zuschießen. Verlierer dieser marktüblichen Methoden sind kleine Hersteller und vor allem diejenigen, die ganz am Anfang der Produktionskette stehen: die Landwirte. Denn was durch Produktniedrigpreise an Gewinn verloren geht, versucht die Industrie mit dem Kauf möglichst billiger Rohstoffe wieder wettzumachen. Da erstaunt es nicht, dass dem dramatischen Höfesterben wachsende Umsätze der Lebensmittelindustrie- und Handelsgiganten gegenüberstehen. Während pro Jahr schätzungsweise 20 000 Höfe ihren Betrieb aufgeben, dürfen sich die Branchengrößen über respektable Bilanzen freuen. Beispielsweise stieg der Umsatz des Geschäftsbereichs Nahrungsmittel der Dr.-Oetker-Gruppe 2004 um 18,4 Prozent auf rund 1,7 Millionen Euro (Vorjahr: 1,4 Millionen Euro); der des Discountriesen Lidl 2005 um über 11 Prozent. Selbst im Durchschnitt aller Betriebsgrößen schreibt die Lebensmittelbranche schwarze Zahlen: Anlässlich der Grünen Woche in Berlin 2005 meldete die Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE) ein Umsatzplus von 3,3 Prozent auf insgesamt 134,5 Milliarden Euro und florierende Exportgeschäfte. Lebensmittel »made in Germany« im Wert von 29,7 Milliarden Euro eroberten das Ausland – 7,2 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Die Ernährungswirtschaft im »Agrarland Deutschland« (so der damalige Bundeslandwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke 2000 auf der Expo in Hannover) ist ein Herzstück der europäischen Exportaktivität. Schon heute ist die EU internationaler Spitzenreiter im Lebensmittelexport. Damit sie das auch bleiben kann, setzt sie auf eine Überschussproduktion: Ein Zuviel an Milch, Butter und Fleisch drückt die Preise, und wer zu niedrigen Preisen anbietet, behauptet sich auf dem Weltmarkt. Leidtragende sind die Bauern sowohl im Inland als auch in den Entwicklungsländern, sodass sich auch in Deutschland immer mehr ein »Kasten-Dasein« herausgebildet hat. Auf der einen Seite stehen Bauern mit mittleren
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