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Die Judas-Papiere

Die Judas-Papiere

Titel: Die Judas-Papiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M. Schroeder
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Schulter und kehrte dann in die Taverne zurück.
    Verstört starrte Alistair McLean auf den Brief in seiner Hand. Und dann hörte er den vertrauten Glockenton von Big Ben. Der Klöppel in der Turmuhr brachte die schwere Glocke dreimal zum Klingen.

3
    H oratio Slade machte sich keine Illusionen über den Ausgang des anstehenden Prozesses, als man ihn in den Gerichtssaal führte, ihm freundlicherweise die Handschellen abnahm und er neben seinem Pflichtverteidiger Nigel Winterthorpe Platz nahm. Dieser blickte recht sauertöpfisch drein. Vermutlich weil er gezwungen war, seine Zeit mit einem Fall zu vergeuden, bei dem der Prozessverlauf und der Richterspruch schon vor Eröffnung des Verfahrens feststanden. Deshalb war es auch kein Wunder, dass die Staatsanwaltschaft einen blutjungen Kronanwalt mit der Anklage betraut hatte, dessen Aufregung sich an den roten Flecken auf seinem sonst blassen Gesicht ablesen ließ.
    Aber selbst dieser nervöse, unerfahrene Grünschnabel in schwar zer Robe und mit gepuderter Perücke würde nicht lange brauchen, um das Gericht von Horatio Slades Schuld zu überzeugen. Die Aussa gen der Zofe Amelia Winslow und des Stallknechts George Busby, die ihn bei seinem Einbruch in das feudale Landhaus von Sir Oliver Quincy auf frischer Tat ertappt hatten, würden sozusagen die Nägel im Sarg seiner Verurteilung sein. Dass er in jener unglückseligen Nacht noch hatte flüchten und sich einer Verhaftung vor Ort hatte entziehen können, war nur ein kurzer Aufschub gewesen. Denn be dauerlicherweise existierte in der »Kundenkartei« von Scotland Yard am Victoria Embankment ein recht gutes Konterfei von ihm, anhand dessen sie ihn identifiziert hatten. Wobei das erste und wenig schmeichelhafte Polizeifoto, das ihn noch als schmächtigen, hohl wangigen jungen Burschen von gerade mal siebzehn Jahren gezeigt hatte, unerfreulicherweise erst unlängst eine Aktualisierung durch einen Fotografen des Yard erfahren hatte.
    Neuerdings zeigte das Foto also einen Mann von einunddreißig Jahren, dessen sehnig schlanke Gestalt der eines durchtrainierten Marathonläufers ähnelte, der das schwarze pomadisierte Haar nach hinten gekämmt und in der Mitte akkurat gescheitelt trug und des sen ausdrucksstarkes Gesicht mit der runden Nickelbrille auf der schmalen Nase, dem schwarzen Strich von Schnurrbart auf der Ober lippe und den wachsam blickenden Augen gut und gern das eines scharfsinnigen Inspektors von Scotland Yard hätte sein können. Ein Gesicht, das man jedenfalls so schnell nicht vergaß, wenn man ihm – wie die Zofe und der Stallknecht – einmal in einer ungewöhnlichen Situation begegnet war.
    Nein, Horatio Slade machte sich keine Illusionen. Er wusste, was ihn erwartete. Sein Schicksal war für die nächsten vier, fünf Jahre besie gelt. Er machte sich deshalb auch keine Mühe, dem Prozessverlauf zu folgen. Ohne sich um die missbilligenden Blicke seines Verteidigers zu kümmern, griff er zu Notizblock und Stift und zeichnete aus dem Kopf das Gemälde Dienstmagd mit dem Milchkrug von Jan Vermeer nach. Die Wahl dieses meisterlichen Motivs erschien ihm passend zu sein, zu mal gerade die Zofe Miss Winslow vom Anwalt der Krone in den Zeu genstand gerufen wurde, um ihre Aussage zu machen.
    Horatio Slade versank völlig im Nachzeichnen des Gemäldes – eine Aufgabe, in die er sich mit Hingabe stürzte – und vergaß darüber gänzlich, was um ihn herum vor sich ging. Gerade war er damit be schäftigt, den Korb mit dem Brotlaib zu zeichnen, der auf Vermeers Gemälde zu sehen war, als plötzlich ein lautes Raunen durch den Saal ging – und sein Pflichtverteidiger Nigel Winterthorpe seinen Arm packte und ihn mit einem aufgeregten Zuruf zurück in den Ge richtssaal holte.
    »Allmächtiger! Haben Sie das gehört, Mister Slade?«
    Verwirrt blickte Horatio Slade von seiner Zeichnung auf. »Nein. Was sollte ich denn gehört haben?«, fragte er mäßig interessiert zu rück. Er verstand nicht, warum auf einmal alle aufgeregt durcheinan dersprachen, der junge Ankläger vor dem Zeugenstand lauthals pro testierte und der Richter mehrfach seinen Hammer auf das Schlag holz krachen ließ, um sich in dem Tumult Gehör zu verschaffen, und dabei drohend rief: »Ruhe! . . . Ruhe! Oder ich lasse augenblicklich den Saal räumen!«
    »Die Zofe hat ihre Aussage widerrufen!«, teilte Nigel Winterthorpe seinem Mandanten indessen mit.
    »Wie bitte? Was will sie denn widerrufen haben?« Ungläubig sah Horatio Slade ihn an. Er glaubte, sich

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