Die Judas-Verschwörung: Mysterythriller (German Edition)
von Gott geraten würde. Der Präfekt erlebte diese Dinge nur als Betrachter, dennoch wurde sein Glauben in den Grundfesten erschüttert. Sein menschlicher Körper wurde von einer entsetzlichen Angst überwältigt, sein spiritueller Zustand war durchdrungen von der Gewissheit, dass das Böse niemals gebrochen werden konnte und dass auch er in den Klauen eines Ungeheuers gefangen war, das die Menschheit versklavt hatte. Wie lange dieses Leiden anhielt, wusste Gabriele nicht – es kam ihm vor wie eine Ewigkeit. Aber plötzlich hörte es auf; das Herz des Präfekten wurde aus dem unsichtbaren Kerker befreit, und Hoffnung strömte in ihn. Benelli hatte gewonnen! Irgendwie war er der Finsternis entronnen und ins Reich des ewigen Lichts gelangt. Doch was war mit der Welt geschehen, die er hinter sich gelassen hatte? Und was mit dem Präfekten und dessen Seele?
»Ich habe euch die Geschichte der Silberlinge gezeigt«, sagte der Papst. »Eine Münze ist noch übrig. Die letzte.« Er hielt inne. »Sie birgt die Macht des Satans selbst.«
Als der Papst das sagte, legte der Präfekt den Kopf in den Nacken und schaute empor zu den Sternen. Sie waren Milliarden Jahre alt, doch es gab einen Geist, der bei ihrer Schöpfung anwesend gewesen war – einen Geist, der älter war als das Universum. Begegnet ihm jeder Mensch in der Stunde seines Todes? Was bot er den Menschen an?
»Es werden Ereignisse auf der Erde stattfinden«, fuhr der Papst fort. »Millionen, Abermillionen Menschen werden sterben. Die Kirche selbst wird kämpfen und stürzen …« Er hielt inne. Es gab noch andere Dinge, von denen er sprechen könnte, aber ihm war klar, dass seine kleine Zuhörerschaft nicht mehr aufnehmen konnte, und er wollte ihr Leid nicht noch vergrößern.
»Es ist Zeit, diesen Ort zu verlassen. Vergesst nicht, was ihr gesehen habt, und erzählt niemandem davon!«
Der Papst erhob sich. Wie auch die anderen. Taschenlampen wurden angeschaltet, dann machten sie sich auf den Rückweg und stiegen die mystische Treppe hinunter. Der Präfekt versuchte, alles Geschehene mit dem Verstand zu behalten. Doch seine Erinnerung verblasste. Kurz darauf wurde die uralte Tür geschlossen, und sie standen wieder auf dem Flur zum Geheimarchiv. An diesem Punkt erinnerte sich der Präfekt an das frühere Gespräch.
»Heiliger Vater, ich habe eine Nachricht für Euch.«
Der Papst bedeutete den Kardinälen weiterzugehen und betrat gemeinsam mit dem Präfekten dessen Arbeitszimmer. Pater Gabriele nahm das Schreiben, das die Ägypterin ihm gegeben hatte, vom Schreibtisch. Er reichte es dem Pontifex. Der überflog den Inhalt und legte das Blatt zurück in die Hände seines vertrauensvollen Dieners.
»Verbrennen Sie es! Von nun an darf niemand den Turm betreten, verstehen Sie? Es ist zu gefährlich.«
Der Pontifex wandte sich zum Gehen, doch im Kopf des Präfekten wirbelten die verschiedensten Gedanken herum. Einen davon hielt er fest.
»Heiliger Vater, wie bin ich zum Präfekten dieser Bibliothek geworden? Ich würde es gern wissen.«
»Warum?«
»Es ist mir wichtig.«
»Ihre Ernennung wurde vor langer Zeit beschlossen.«
»Vor langer Zeit? Von wem?«
»Sie haben ihn heute Abend gesehen.«
Pater Gabriele zählte die Namen der fünf Kardinäle auf, die sie begleitet hatten, doch bei jedem schüttelte der Papst den Kopf. Der Präfekt wich entsetzt zurück. Das konnte nicht sein!
Der Pontifex sprach weiter. »Was in der Welt geschieht, ist nicht das, was wir glauben. Betreten Sie den Turm nie wieder, unter
keinen
Umständen!«
Nachdem sein Gast gegangen war, setzte sich der Präfekt verwirrt auf seinen Stuhl. Inwiefern war die Welt anders? Und wie war es möglich, dass Kardinal Benelli ihn – vor Jahren – als Präfekten des Geheimarchivs vorgeschlagen hatte? War alles vorherbestimmt? Drehte sich die Welt nach einem geheimen Plan, den nur wenige Menschen kannten? Und der Turm der Winde? Warum war es verboten, ihn noch einmal zu betreten?
Warum? Warum? Warum? Der Präfekt stöhnte. Ah, die Welt war voller Warums. Das Gleiche galt für die Fragen, die sich alle Menschen endlos stellten. Warum sind wir hier? Warum müssen wir leiden? Warum gibt es Gut und Böse?
Die Jahre verstrichen. Neun Jahre, um genau zu sein. In dieser Zeit wurde Kardinal Benelli heiliggesprochen, und der Abt des Klosters, in dem er seinen Lebensabend verbracht hatte, Abt Andrew, starb voller Gnade. Doch hinsichtlich der Silberlinge des Judas und der düsteren Vorhersagen, die
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