Die Judas-Verschwörung: Mysterythriller (German Edition)
Prolog
Alles geht einmal zu Ende – auch die Erde.
D enn ihr Fortbestand wird nicht von materiellen, sondern von ideellen Kräften bestimmt. Nachdem sie ihren Zweck erfüllt hat, wird sie wie ein Buch zugeklappt und in die göttliche Bibliothek zurückgestellt – ins Gedächtnis Gottes. Aber was geschieht mit denen, die in dem Buch vorkommen, den Millionen kleinen und großen Geschöpfen? Bleiben sie auf immer und ewig vergessen, wenn die Geschichte endet? Und der Mensch – vergeht alle Erinnerung an ihn? Geraten seine vergeblichen Kämpfe, sein Schicksal zu gestalten, in Vergessenheit? Aber vielleicht ist die Erde ja nichts weiter als ein Punkt in einem teilnahmslosen Universum der Fragen, der schon bald von einem akribischen spirituellen Schreiber ausradiert wird.
Die größte Qual des Menschen besteht darin, nicht zu wissen. Nicht zu wissen,
woher
er kommt,
warum
er auf der Erde ist,
wohin
er geht. Dies ist der Essig, dies die Galle. Und was ist mit der Neige? Werde ich dahinsiechen?, denkt jede Seele. Werde ich im Krankenhausbett liegen, mit schlaffen Gliedern, während der Krebs mich langsam zerfrisst? Oder sterbe ich eines schnellen, gewalttätigen Todes – ein Verkehrsunfall, ein Zug, der entgleist, ein Flugzeug, das vom Himmel stürzt? Wer weiß das schon? Und was ist mit Gott selbst? Hat er je eine der Krankheiten erlebt, die die Menschen befallen? Hat er je im Alter die Schwermut erlebt – die Freunde tot, die Angehörigen von ihm entfremdet? Hatte er eine Mutter, die ihn missbrauchte, weil sie mit allen Männern im Dorf schlief? Einen Vater, der ihn ignorierte und die Vaterschaft leugnete? Offenbar nicht. Nazareth war ein gut geschütztes Provinznest. Wer
ist
also dieser Gott, dessen Antlitz die Menschen oft so verzweifelt zu erkennen hoffen? Ist er vielleicht nur ein Voyeur des Daseins der Menschen, begierig, ihre wahre Bitterkeit zu kosten? Das Streben, die Quelle allen Seins zu finden, führt zu einer kaum weniger großen Frage: Warum ist das Ganze schiefgegangen? Wie kommt das Böse ins Spiel? Wieso hatte der Allmächtige einen Abkömmling, der sich von ihm abwandte – und der so mächtig ist, dass er die ganze Welt in seinen Fängen hält? Und wird es nicht allmählich Zeit, dass der Göttliche sein Hörgerät einsetzt, seine Gehhilfe hervorholt und herunterkommt, um die Dinge in Ordnung zu bringen? Oder hat ihn seine letzte Reise zur Erde derart entmutigt, dass er keine Lust hat wiederzukommen?
Das große Rätsel ist die Rolle des Menschen im Universum und sein Verbundensein mit Gott, besser gesagt: sein Getrenntsein von Gott. Denn die dreißig Silberlinge des Judas – dieses biblische Bild für das Böse – waren das Instrument, mit dem Gott in die Menschheitsgeschichte eintrat, damit er Satan in einer Welt herausfordern konnte, die dieser versklavt hatte. Doch welche Rolle spielt die Seele des Einzelnen in der letzten Schlacht zwischen Gut und Böse? Und welche Rolle die Kirche? Wer ist imstande, die Tiefen dieses Mysteriums auszuloten?
Jedoch: Die Würfel sind gefallen. Denn der letzte Silberling des Judas ist in die Welt gekommen …
Mit Pharao in Ägypten
1
Von den Zeiten aber und Stunden, liebe Brüder, ist nicht not
euch zu schreiben, denn ihr selbst wisset genau,
dass der Tag des Herrn wird kommen wie ein Dieb in der Nacht.
Wenn sie sagen werden: Es ist Friede, es hat keine Gefahr,
dann wird sie das Verderben schnell überfallen wie der Schmerz
ein schwangeres Weib, und werden nicht entfliehen.
1. Thessalonicher 5
D ie Wahl eines neuen Kirchenoberhaupts ist stets eine Zeit der Hoffnung und des Wandels. Gewiss, diese Hoffnung war während der Jahrhunderte, in denen ein älterer Herr auf den anderen folgte, ähnlich monoton, wie wenn eine Schafherde durch eine Senke zieht, oft enttäuscht worden; aber dieses Mal würde alles
ganz bestimmt
anders werden, oder?
Denn auf dem Stuhl des heiligen Petrus saß ein chinesischer Papst – der ehemalige Kardinal Hua. Die Wahl war ein bedeutendes Ereignis gewesen. Umso mehr, als weithin anerkannt wurde, dass der Papst in vielerlei Hinsicht das Gegenteil seiner Vorgänger darstellte. Er war kein lebensfremder Beamter, der sich hinter den Mauern des Vatikans versteckte und mit moralischen Ratschlägen in dem Tempo, aber auch mit der Nützlichkeit von Konfetti um sich warf. Nein, dieser Papst hatte fünfunddreißig Jahre in einem chinesischen Gefangenenlager verbracht, weshalb ihm durchaus bekannt war, wie hart das
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