Die Juden von Zirndorf
morsche Treppe, von wo er auf ein Dach kam, und dort schritt er auf den Zehen weiter. Vor einem grünen Fensterladen stand er still und steckte sein Rohr durch einen schmalen Spalt. Nun rief er mit dumpfer und verstellter Stimme in das Sprachrohr: »Boruch ado adonai elohim! O ihr gerechten und gottliebenden Eheleute Maier Nathan und Thelsela! freuet euch, denn eure Tochter, die eine Jungfrau ist, hat eine Tochter in ihrem Leib empfangen, die wird die Braut sein dem Erlöser des Volkes Israel, dem Messias zu Smyrna.«
Der Knöcker, der vergebens seine Kissen um Schlaf zerwühlt hatte, und dessen Phantasie in wilder Bewegung war, weckte sein Weib. »O meine Liebste,« flüsterte er beklommen, »hast du die himmlische Stimme gehört? Es ist ein Engel dagewesen; stehe auf, wir wollen beten, daß du die himmlische Stimme auch zu hören gewürdigt werdest.« Zitterndes Leibes erhob sich die Frau; sie lauschte in die Nacht hinaus, legte die vermagerte Hand auf die klopfende Brust und kniete nieder. Da ertönte die Stimme von neuem: »Ihr sollt eure Tochter in hohen Ehren halten und großen Fleiß anwenden, daß sie wohl versorgt werde. Denn aus ihrem jungfräulichen Leib wird die Messiasbraut geboren werden.«
Da packte Thelsela ihren Mann und zog ihn hinüber in das Zimmer, wo die Tochter schlief. Sie schien ruhig zu schlummern, sah abgehärmt aus und ihre Lider zuckten ein wenig. Als die Mutter ihr die Decke vom Körper ziehen wollte, stieß sie einen heiseren Schrei aus und krampfte die Hände von tödlicher Angst erfaßt, in den Stoff. Doch der Knöcker streichelte ihr die Wangen und stotterte unverständliche Zärtlichkeiten, während Thelsela den Leib des Mädchens befühlte, ernst nickte und von Andachtsschauern durchrieselt wurde. Eine große Freude hatte den Maier Nathan befallen: sein Haus war zu solch vorzüglichen Dingen auserwählt worden, daß er in diesen Stunden sogar der Sorge um sein Geld vergaß und mit seinem Weib am Lager der Tochter sitzen blieb, um ungeduldig den Anbruch des Tages zu erwarten. Über Nahels Wangen flossen bittere Tränen. Mit weitgeöffneten Augen sah sie beständig auf einen Punkt. Böse Gesichte schienen sie zu foltern; das Licht tat ihr weh, jede Tröstung schmerzte sie.
Der Maier Nathan indessen, dem eine ganz neue Welt aufgegangen war, sah sich schon als den Patriarchen der Gemeinde, gepriesen als den Vater eines unerhörten Glückes. Er nahm sein Weib bei der Hand, führte sie in das Schlafgemach zurück, stammelte trunken, fuhr sich in die Haare, lachte, tänzelte und ging endlich fort, um zuerst seinen Freund Boruchs Klöß und dann den Chassan aufzusuchen.
Der Morgen war nahe. Eine drückende Öde lag auf den Gassen. Fern in der Ebene rauschte der Fluß, und bisweilen klang es herein wie das Klappern eines Mühlenrades oder das Geläute von Kuhglocken. Den Zenit belagerten große Wolken. Wie Raubtiere lagen sie und schienen bereit, sich auf das Land zu stürzen.
Fast in allen Judenhäusern war Licht. Wo auch Maier Knöcker das neugierige Ohr an einen Türverschluß oder an eine dünne Mauerwand legte, hörte er Gebete murmeln, Klagen, Anrufungen und Lobpreisungen.
Als der helle Tag angebrochen war, kam wunderbare Kunde. Es hieß nämlich, die Juden in dem Städtchen Avricourt rüsteten sich, nach Jerusalem zu ziehen. Dann hieß es auch, Jakob Sasportas, der wütende Feind des Zewi, sei plötzlich zum glühenden Anhänger geworden, und mit der heiligen Schrift im Arm tanze er verzückt durch die Straßen von Worms. Ferner kam die Nachricht, Manoel Texeira sei mit zehn Ältesten nach Smyrna gepilgert und habe sich dem Messias zu Füßen geworfen. Ein gewisser Nathan Ghazati war von Sabbatai zum König von Griechenland und Elisa Levi, ein Bettler, zum Kaiser von Afrika bestimmt worden. Die Palästiner, die durch Jakob Zemach eine Huldigung an den neuen König der Juden abgeschickt hatten, schmückten ihren Tempel und zogen psalmensingend und blumenstreuend durch die Städte, als ob Davids Zeiten sich erneuert hätten. Der berühmte Sabbatai Raphael in Polen und Mathatia Bloch seien vom heiligen Geist erfaßt, so daß sie wahrsagten auf offenem Markt in Warschau und in Thorn.
So kommt der Föhn im Frühjahr über das deutsche Hochland wie all diese Botschaften nach Fürth. Selbst die Christen wurden miterregt von der Wucht der fremdartigen Ereignisse. Ein Taumel ging durch Europa; die alte Welt schien aufzuwachen aus einem Schlaf. Der Bedrücker fürchtete den Bedrückten,
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