Die Juedin von Toledo
Stadtviertel nochmals von Mauern und Türmen umgeben, und viele der Häuser des Adels waren Festungen für sich. Befestigt waren alle Tore, befestigt die Kirchen und Brücken, die vom Fuß des finstern, gewaltigen Stadthügels über den Fluß Tajo ins Land führten. Innerhalb der Stadt aber drängte sich auf engstem Raume Haus an Haus, hügelan, hügelab, die Treppenwege waren dunkel und schmal, häufig sehr steil, sie schienen Doña Raquel verdächtige Schluchten, überall waren Ecken, Winkel, Mauern, und immer wieder schwere, riesige, eisenbeschlagene Tore.
Die großen, soliden Bauten stammten fast alle noch aus der Zeit der Moslems und waren nur notdürftig instand gehalten und wenig verändert. Doña Raquel war im stillen überzeugt, daß dies alles viel schöner gewesen war, als noch die Moslems es betreuten. Dafür hatte sie ihre Freude an dem bunten Menschengewimmel, welches vom frühen Morgen bis in die Dunkelheit die Stadt füllte, vor allem den Hauptplatz, den Zocodovér, den offenbar uralten Marktplatz. Menschen lärmten, Pferde wieherten, Esel schrien, alles drängte durcheinander, stieß und störte sich, immerzu gab es Stockungen, und dieStraßen waren voll Unrat. Allein Raquel vermißte kaum die schöne Ordnung Sevillas, solche Freude hatte sie an dem heftigen Leben Toledos.
Es fiel ihr auf, wie scheu und zurückhaltend hier die islamischen Frauen waren. Alle gingen sie tief verschleiert. In Sevilla hatten die Frauen aus dem Volk bei der Arbeit und wenn sie zu Markte gingen, den behindernden Schleier abgelegt, und in den Häusern der aufgeklärten großen Herren trugen nur die verheirateten Damen Schleier, sehr dünne, kostbare, mehr Schmuck als Verhüllung. Hier aber, offenbar um sich den Blicken der Ungläubigen zu entziehen, trugen alle islamischen Frauen die Schleier lang und dicht und immer.
Die jungen Granden, stolz auf ihre Stadt, erzählten Raquel von der Geschichte Toledos. Gott hatte die Sonne am vierten Schöpfungstage, als er sie schuf, gerade über Toledo gestellt, so daß die Stadt älter war als die übrige Erde. Uralt war die Stadt, dafür gab es viele Beweise. Sie hatte Karthager herrschen sehen, dann sechshundert Jahre lang Römer, dreihundert Jahre gotische Christen, vierhundert Jahre Araber. Jetzt, seit hundert Jahren, seit dem glorreichen Kaiser Alfonso, herrschten hier von neuem die Christen, und nun werden sie hier bleiben bis zum Jüngsten Gericht.
Ihre beste und größte Zeit, erzählten die jungen Granden, hatte die Stadt gesehen unter den christlichen, westgotischen Herren, deren Abkömmlinge sie, die Ritter, waren. Damals war Toledo die reichste, herrlichste Stadt der Welt gewesen. Der König Athanagild hatte seiner Tochter Brunhild zur Ausstattung Schätze mitgegeben im Werte von dreitausend mal tausend Goldmaravedí. Der König Reccared besaß den Tisch des Judenkönigs Salomo, er bestand aus einem einzigen riesigen Smaragd und war mit Gold umrahmt; auch besaß König Reccared einen Wunderspiegel, in welchem man die ganze Welt erblickte. Das alles hatten die Moslems geraubt und zerstört und verschleudert, die Ungläubigen, die Hunde, die Barbaren.
Besonders stolz waren die jungen Herren auf ihre Kirchen.Neugierig, befangen betrachtete Raquel die wuchtigen Bauwerke; sie schauten aus wie Festungen. Raquel stellte sich vor, wie edel sie gewesen sein mochten, da sie noch Moscheen waren, umgeben von Bäumen, Springbrunnen, Säulengängen, Lehrhäusern. Nun war alles kahl und finster.
Im Vorhof der Kirche der heiligen Leocadia fand sie einen Brunnen mit einer besonders schönen Einfassung, die eine arabische Inschrift trug. Stolz darauf, daß sie die altertümlichen kufischen Schriftzeichen lesen konnte, mit dem Finger den eingegrabenen, schon halb verwischten Lettern folgend, entzifferte sie: »Im Namen des Allbarmherzigen Gottes. Der Kalif Abd er Rahmân, der Siegreiche – Gott möge seine Tage verlängern – hat diesen Brunnen errichten lassen in der Moschee der Stadt Toleitola – Gott möge sie beschützen – in der siebzehnten Woche des Jahres 323.« Das war also jetzt vor zweihundertfünfzig Jahren. »Das ist lange her«, sagte Don Estéban Illán, der sie begleitete, und grinste.
Mehrmals erboten sich die jungen Herren, ihr das Innere einer Kirche zu zeigen. In Sevilla war viel die Rede von diesen »Kirchen«, Stätten des Greuels und Götzendienstes, in welche die Barbaren des Nordens die schönen alten Moscheen verwandelt hatten. Es verlangte Raquel sehr,
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