Die Jungfrau Im Eis
gut gekannt habt. Mir scheint, es gibt an dieser Küste nicht viele Städte, mit denen Ihr nicht eingehende Bekanntschaft geschlossen habt.«
»Mir persönlich gefiel St. Symeon am besten. In den Werften dort gab es immer gute Schiffszimmerleute, es hatte einen geschützten Hafen, und Antiochia lag nur ein paar Meilen flußaufwärts.«
Er hatte allen Grund, sich an Antiochia zu erinnern, denn dort hatte seine lange Laufbahn als Kreuzritter und seine Liebesaffäre mit Palästina, jenem wunderbaren, unwirtlichen, grausamen Land aus Gold und Sand und Dürre begonnen und geendet. In diesem ruhigen, und doch geschäftigen Hafen, in dem er schließlich beschlossen hatte Anker zu werfen, hatte er wenig Zeit gehabt, seine Gedanken zu jenen Lieblingsplätzen seiner Jugend zurückschweifen zu lassen. Jetzt aber hatte er die Stadt wieder deutlich vor Augen, das satte Grün des Flußtals, die willkommenen, schmalen Schattenstreifen in den Gassen, das babylonische Gewirr des Marktes. Und Mariam, die ihr Obst und Gemüse in der Straße der Segelmacher verkaufte... Ihr junges, fein geschnittenes Gesicht wurde vom gleißenden Licht der Sonne in eine Maske aus Gold und Silber verwandelt, und unter ihrem Schleier schimmerte schwarzes, glänzendes Haar. Sie hatte ihm nicht nur die Ankunft im Osten verschönt, als er noch ein grüner Junge von achtzehn Jahren war, sondern auch seinen Abschied, als er mit dreiunddreißig Jahren als erfahrener Soldat und Seemann in seine Heimat zurückkehrte. Sie war Witwe, jung, leidenschaftlich und einsam, eine Frau aus dem Volk und sicher nicht jedermanns Geschmack - dazu war sie zu dünn, zu stark, ihre Zunge zu spitz. Die Leere, die ihr Mann hinterlassen hatte, war unerträglich gewesen, und so hatte sie den jungen Fremdling mit ganzem Herzen und ganzer Seele in ihr Leben aufgenommen, damit er die Lücke füllte. Ein ganzes Jahr lang hatte er sie gekannt, dann waren die Armeen der Kreuzritter weitergezogen, um Jerusalem zu belagern. Vor ihr und nach ihr hatte es andere Frauen gegeben. Er erinnerte sich ihrer mit Dankbarkeit und ohne jedes Schuldgefühl. Er hatte Freude und Wohltaten gegeben und empfangen. Keine Frau hatte je Anlaß zur Klage über ihn gehabt. Wenn das auch vom formalen Standpunkt her eine armselige Verteidigung war, so fühlte er sich dahinter doch sicher. Er hätte es als Beleidigung aufgefaßt, wenn man von ihm verlangt hätte, er solle bereuen, eine Frau wie Mariam geliebt zu haben.
»Man hat dort Verträge geschlossen, die den Frieden sichern sollen, wenn auch nur für eine begrenzte Zeit«, sagte er nachdenklich. »Ich nehme an, ein hoher Herr aus Anjou könnte das Gefühl gehabt haben, er werde hier dringender gebraucht als dort, nun, da seine Lehensherrin in Not ist. Nach allem, was ich gehört habe, hat der Mann einen guten Namen. Zu schade, daß er gerade dann kommt, wenn der Haß die höchsten Wellen schlägt.«
»Es ist ein Jammer, daß es zwischen anständigen Menschen überhaupt Grund zum Haß gibt«, pflichtete ihm Hugh bekümmert bei. »Ich stehe auf Seiten des Königs, und ich habe meine Wahl mit offenen Augen getroffen. Ich mag Stephen und werde ihn nicht für irgendeine Kleinigkeit im Stich lassen. Aber ebenso verständlich ist, daß ein Graf von Anjou nach Hause eilt und seiner Lehensherrin genauso loyal zur Seite steht, wie ich Stephen diene. Ach, Cadfael - was für eine Verkehrung all unserer Werte dieser Bürgerkrieg ist!«
»Nicht aller Werte«, sagte Cadfael mit Nachdruck. »Soviel ich weiß, hat es nie eine Zeit gegeben, in der das Leben leicht und friedlich war. Euer Sohn wird in einer besseren Welt aufwachsen. So - für heute bin ich fertig, und gleich wird die Glocke läuten.«
Sie gingen gemeinsam hinaus in die Kälte und Dunkelheit des Gartens und spürten auf ihren Gesichtern die ersten Schneeflocken dieses Winters. Der Wind wehte in Böen, aber hier war der Schneefall leicht. Weiter südlich setzte er, getrieben von einem Nordwestwind, heftig ein. Es war feiner, trockener Schnee, der die Nacht in einen weißen, wirbelnden Nebel verwandelte, alle Umrisse verbarg, Wege unter sich begrub und vom Wind zu glatten, sich überschlagenden Wellen geformt wurde, die sogleich wieder aufgeweht wurden, um sich erneut über das Land zu legen. Täler wurden trügerisch aufgefüllt, während sich die Hänge der Hügel glätteten. Wer klug war, blieb in seinem Haus, verschloß Türen und Fensterläden und verstopfte die Ritzen zwischen den Brettern, durch welche
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