Die Jungfrau Im Eis
Gloucester, zu den Truppen der Kaiserin. Das war erst nach dem Angriff auf Worcester, und da er daran nicht teilgenommen hat, trifft ihn auch keine Schuld.
Aber in unserer Stadt kann es jetzt kein Mann aus Gloucester wagen, sich zu zeigen. Der König ist mit einer großen Armee eingerückt, und er ist, nicht anders als die geplünderten Bürger der Stadt, ein zorniger Mann. Notgedrungen obliegt die Suche nach den Kindern also uns. Aber da sie selbst ja absolut unschuldig sind, werde ich diese Angelegenheit dennoch dem Sheriff vortragen.«
»Und darin werde ich Euch unterstützen«, versicherte ihm Radulfus. »Aber zunächst, da uns hier niemand Auskunft geben kann...?« - er blickte sich fragend im Kapitelsaal um und sah nur Kopfschütteln - »... nun gut, dann müssen wir also unsere Gäste befragen. Die Namen, das jugendliche Alter, die Begleitung durch eine Nonne werden uns vielleicht weiterbringen.«
Trotzdem glaubte Bruder Cadfael nicht, als er gemeinsam mit den anderen Mö nchen den Kapitelsaal verließ, daß diese Befragung etwas ergeben würde. Er hatte während der letzten Tage viel Zeit damit verbracht, Bruder Edmund bei der Unterbringung und ärztlichen Betreuung der erschöpften Flüchtlinge zu helfen und nie waren dabei drei solche Reisende erwähnt worden. Er hatte zahlreiche, arglos erzählte Geschichten von Reisenden gehört, aber keiner hatte etwas von einer Benediktinernonne und zwei adligen Kindern gesagt, die ohne männlichen Schutz auf den Straßen unterwegs waren.
Und ihr Onkel, so schien es, war Gefolgsmann der Kaiserin, so wie Gilbert Prescote ein ergebener Gefolgsmann des Königs war, und zwischen den beiden Parteien flammte wegen der Plünderung Worcesters bitterer Haß auf. Die Zeichen standen schlecht. Abt Radulfus würde dem Gesandten noch heute mit seinen Überredungskünsten zur Seite stehen, aber ob die beiden etwas für Laurence d'Angers erreichen würden, war recht zweifelhaft.
Der Sheriff empfing die Bittsteller ernst und höflich in seinen persönlichen Gemächern auf seiner Burg und hörte sich mit unbewegtem Gesicht die Geschichte an, die Herward ihm erzählte. Er war ein finsterer Mann mit schwarzen Augenbrauen und einem schwarzen Bart, und seine Miene war eher furchteinflößend als ermutigend. Aber dennoch war er auf seine strenge Art ein aufrechter Mensch, der zu seinem Wort und zu seinen Männern stand, vorausgesetzt, sie erfüllten die Anforderungen, die er an sie stellte.
»Es tut mir leid«, sagte er, als Herward geendet hatte, »von Eurem Verlust zu hören, und noch mehr tut es mir leid, Euch gleich sagen zu müssen, daß Ihr Eure Leute hier in Shrewsbury vergebens sucht. Seit jenem Angriff habe ich mich über jeden informieren lassen, der von Worcester in diese Stadt gekommen ist, und diese drei waren nicht darunter. Jetzt, da Seine Gnaden die Garnison in Worcester verstärkt hat, haben sich viele bereits wieder auf den Weg dorthin gemacht. Wenn, wie Ihr sagt, der Onkel dieser Kinder kürzlich nach England zurückgekehrt ist, und wenn er ein vermögender Mann ist - warum macht er sich dann nicht selbst auf die Suche?«
Herward hatte den Fehler begangen, bis jetzt den Namen des Edelmannes zu verschweigen. Er hatte diesen Augenblick vor sich hergeschoben. Und doch besagte der Name nichts weiter, als daß er ein Ritter sei, der auf dem Kreuzzug Ehre erworben hatte und jetzt aus dem Heiligen Land, wo zur Zeit ein unsicherer Frieden herrschte, zurückgekehrt war. Aber es half nichts - die Wahrheit mußte heraus.
»Herr«, begann Herward mit einem Seufzer, »Laurence d'Angers ist Willens und bereit, seinen Neffen und seine Nichte zu suchen. Jedoch benötigt er dafür Eure Unterstützung oder die besondere Erlaubnis Seiner Gnaden des Königs. Denn als Ritter von Anjou schuldet er der Kaiserin Maud Gefolgstreue und hat sich mit seinen Männern in Gloucester ihren Truppen angeschlossen.« Er beeilte sich fortzufahren, solange ihm das Reden gestattet war, denn der Sheriff hatte seine Augenbrauen zusammengezogen, so daß sie wie ein stählernes Band über den nunmehr zusammengekniffenen und in plötzlichem Verstehen blitzenden Augen lagen. »Er ist erst eine Woche nach dem Angriff in Gloucester eingetroffen, er hat also nicht daran teilgenommen, wußte nichts davon und kann nicht dafür zur Verantwortung gezogen werden. Er hörte, daß seine Verwandten verschollen seien, und sein ganzes Trachten geht dahin, sie zu finden und in Sicherheit zu bringen. Doch ist es für einen
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