Die Juwelen des Scheichs
dass er sie wegen ihrer Entscheidung vielleicht verachtete, ertrug sie kaum. Bitte, Gott, nein …
„Was hast du gesagt?“
Erst jetzt merkte Gina, dass sie laut gesprochen hatte, und lief rot an, während sie ihren bebrillten Kollegen von der Seite ansah. „Nichts … ich habe nur laut gedacht.“
„Warst du wirklich schon mal in Kabuyadir? Wie ist es denn da so?“, fragte Jack im Plauderton und nahm die Einfahrt zum Dauerparkplatz.
Einen Moment schloss Gina die Augen und spürte, wie alles zurückkam: der Duft nach exotischen Gewürzen und Räucherstäbchen, der Klang der Sprachen, die ihren Ursprung in den alten persischen und byzantinischen Reichen hatten, die leuchtend bunten Farben der Waren auf dem Markt, der zarte Duft in Husseins Garten.
Am stärksten aber war die Erinnerung an Zahirs markantes Gesicht und an seine Augen von der Farbe dunkler Schokolade. Ein Blick hatte genügt, und ihr Herz gehörte ihm, für immer …
„Jede Beschreibung, die ich dir geben könnte, würde dem Ort nicht im Geringsten gerecht werden. Sieh es dir doch einfach selbst an, wenn wir dort sind.“
Er stellte den Wagen ab und lächelte. „Also gut. Wie geht es übrigens Professor Collins? Woran arbeitet er im Moment?“
Sein Ton verriet sowohl Bewunderung als auch Neugier, und Gina bemühte sich um eine neutrale Miene. Normalerweise trennte sie Privates strikt von Beruflichem, doch es wunderte sie nicht, dass ihr ambitionierter junger Kollege neugierig war. Schon gleich zu Anfang ihrer Zusammenarbeit hatte er ihr gestanden, dass er Jeremy Collins’ größter Bewunderer sei, da dieser sich in seiner langen Laufbahn größte Verdienste erworben hatte.
„Ich habe keine Ahnung, woran er gerade arbeitet. Um ehrlich zu sein, ist er in letzter Zeit ein bisschen angeschlagen. Zum Glück habe ich eine neue Haushälterin für ihn gefunden, die sehr umsichtig zu sein scheint. Also wird es ihm wohl gut gehen, solange ich weg bin.“
Sie hoffte, dass Jack ihr die Angst nicht anhörte, die sie verspürte. Ihr Vater war plötzlich besorgniserregend vergesslich und wirkte noch zerbrechlicher. Ihr Herz klopfte schneller, als sie daran dachte, wie schwer er sich mit den einfachen Aufgaben des Alltags tat, die anderen Menschen spielend von der Hand gingen.
Darum war sie sehr dankbar, dass sie Lizzie Eldridge gefunden hatte, die Gina als neue Haushälterin für die Idealbesetzung hielt. Sie war um die vierzig, alleinerziehende Mutter eines Elfjährigen, praktisch veranlagt, freundlich und konnte zupacken. Sie und Ginas Vater hatten sich von Anfang an prächtig verstanden. Bei ihr ist er in guten Händen, dachte sie, als sie mit ihrem Trolley zu dem Bus ging, der sie zum Flughafeneingang bringen würde.
„Ich kann es gar nicht abwarten, das Schmuckstück ‚leibhaftig‘ zu sehen“, schwärmte Jack. „Der Diamant in der Mitte – oder Almas , wie sie ihn dort nennen – ist schon etwas ganz Besonderes. Der Eigentümer kann eigentlich nicht so knapp bei Kasse sein, wenn man bedenkt, dass er so etwas wie ein Scheich ist. Darum frage ich mich, warum er ihn überhaupt verkaufen will.“
„Das ist nicht unser Problem“, erwiderte Gina. „Ich weiß nur, dass es ein ungeheures Privileg ist, die Geschichte dieses Schmuckstücks studieren zu dürfen. Wie die Nachforschungen ergeben haben, hat man es schon im 7. Jahrhundert in Persien als Meisterwerk gepriesen.“
„Ich frage mich, wie er wohl ist, dieser Scheich aller Scheiche. So wird er jedenfalls genannt. Kaum zu glauben, dass wir in seinem Palast eingeladen sind, anstatt in einem verwanzten Hotel im nächsten Dorf übernachten zu müssen.“
„Mit solchen Äußerungen würde ich vorsichtig sein, wenn wir in Kabuyadir sind. Es könnte als respektlos angesehen werden … was nebenbei bemerkt stimmen würde“, entgegnete Gina streng.
„Bist du schon immer so ein braves Mädchen gewesen, Gina?“ Fragend und etwas spöttisch sah er sie durch seine moderne Brille mit dem schwarzen Rand an. „Benimmst du dich nicht mal daneben?“
Seine Wortwahl empörte sie so sehr, dass sie errötete. Ein einziges Mal hatte sie sich „danebenbenommen“ – und das ausgerechnet in Kabuyadir. Doch damals war es ihr ganz und gar nicht falsch erschienen. Vielmehr war es ihr unter den gegebenen Umständen als das Natürlichste der Welt vorgekommen, weil es rein instinktiv geschehen war. Sie bedauerte keineswegs, was andere als Moment der Verrücktheit betrachten würden, wenn sie davon wüssten.
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