Die Juwelen des Scheichs
1. KAPITEL
Wer liebte je, wenn nicht beim ersten Blick?
William Shakespeare: „Wie es euch gefällt“
Königreich von Kabuyadir
Der Wind trug das Schluchzen zu Zahir. Zuerst glaubte er an eine Einbildung. Doch als er auf den Balkon trat, der auf den Innenhof mit dem Mosaikboden hinausging, hörte er es wieder.
Eigentlich hatte er sich entschlossen, die Party zu verlassen, da er nicht in der richtigen Stimmung zum Feiern war und nach Hause fahren wollte. Er hatte sich in den Salon seines Freunds Amir zurückgezogen, um ein paar Minuten dem oberflächlichen Geplauder zu entkommen, an dem er sich nur mit größter Mühe beteiligen konnte. Kurz darauf hatte er sich beim Gastgeber entschuldigt, dass er früher gehen würde. Und Amir, der Zahirs Situation zu Hause kannte, verstand ihn voll und ganz.
Doch jetzt ging Zahir plötzlich in den Innenhof hinunter, wo ihn warme Luft und betörende Düfte umfingen. Neugierig sah er sich um. Aber wonach sollte er eigentlich suchen? War es ein Kind gewesen, das geschluchzt hatte? Oder vielleicht ein verwundetes Tier? Möglicherweise hatten sein müder Geist und sein bedrücktes Herz ihm aber auch einen Streich gespielt und er hatte sich das leise Schluchzen nur eingebildet.
Für einen Moment übertönte das plätschernde Wasser, das aus dem Mund einer Meerjungfrau in den wie eine Muschel geformten Springbrunnen lief, jedes andere Geräusch.
Plötzlich sah Zahir aus dem Augenwinkel etwas Rosafarbenes aufblitzen. Er kniff die Augen ein wenig zusammen und starrte zu der im Dunkel liegenden Ecke mit der Steinbank, die beinahe ganz von einem großen Jasminstrauch verdeckt wurde. Zwei ausgesprochen hübsche Füße lugten darunter hervor. Interessiert trat er näher.
„Wer ist da?“
Um nicht bedrohlich zu klingen, hatte er bewusst leiser gesprochen. Trotzdem schwang die ihm eigene Autorität in seiner Stimme mit. Ein Schniefen, ein leises Luftholen, dann tauchte ein langer, schlanker Arm aus dem Busch auf und schob die schützenden Zweige zur Seite. Zahir holte zischend Luft.
„Ich bin’s … Gina Collins.“
Dieser mit lieblicher Stimme gegebenen Erklärung folgte der Anblick der erstaunlichsten blauen Augen, die er je gesehen hatte. Sie leuchteten mit der gleichen kristallklaren Stärke wie der helle Mond.
„Gina Collins?“ Mit dem Namen konnte Zahir nichts anfangen, dafür umso mehr mit der hellhaarigen Schönheit, die barfuß in einem bodenlangen Kleid in Rosa vor ihm stand.
Ein Abbild von Schönheit, das kein Mann so schnell vergessen würde. Kein Wunder, dass sie sich hier draußen vor den Blicken der anderen versteckt. Kein heißblütiger Mann könnte dieser Versuchung widerstehen .
Schniefend wischte sie sich mit dem Handrücken über die feuchten Wangen.
„Jetzt weiß ich immer noch nicht, wer Sie sind“, erklärte Zahir und hob eine Braue.
„Ich … tut mir leid. Ich bin Professor Moyles Assistentin. Wir sind hier, um Mrs Husseins Bücher zu katalogisieren.“
Vage erinnerte Zahir sich daran, dass Amirs Frau Clothilde, die als Dozentin an der Kunstakademie arbeitete, erwähnt hatte, dass sie sich für ihre große und kostbare Bibliothek Hilfe holen wollte.
„Ist die Arbeit denn so entsetzlich, dass Sie sich hier draußen verstecken müssen?“, zog er die schöne Fremde sanft auf.
Ihre großen blauen Augen weiteten sich. „Ganz und gar nicht. Die Arbeit macht mir Spaß.“
„Dann würde ich gern wissen, warum Sie geweint haben?“
„Ich … ich habe einfach …“
Zahir spürte, dass es ihm nicht das Geringste ausmachte, auf die Antwort zu warten. Für Ungeduld war jetzt kein Platz, als er ihre exquisiten Züge betrachtete. Sie wirkten, als wären sie von einem göttlichen Künstler geschaffen worden, der sie angebetet hatte. Besonders ihre vollen Lippen, die leicht zitterten.
Auch in ihrem leisen Seufzer schwang ein Zittern mit. „Ich habe heute erfahren, dass es meiner Mutter nicht gut geht und sie im Krankenhaus liegt. Meine Arbeitgeber haben mir freundlicherweise sofort einen Flug gebucht, sodass ich morgen früh nach England zurückfliegen kann.“
Eine Welle aus Mitgefühl und Verständnis erfasste Zahir. Er wusste nur zu gut, wie es war, wenn die Mutter erkrankte, wie es sich anfühlte, hilflos zusehen zu müssen, wie es ihr mit jedem Tag schlechter ging, ohne etwas tun zu können. Was ihn aber zutiefst entsetzte war die Verwirrung, die ihn bei ihrer Erklärung befallen hatte, dass sie wieder nach Hause fliegen würde.
„Es tut mir
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