Die Kälte Des Feuers
gewählt und wußte nicht, wann ihm die Konfrontation mit dem Tod bevorstand - heute oder erst morgen? Jim hoffte, Klarheit zu gewinnen, wenn er sich entspannte und auf eine Eingebung wartete.
Tooley war gern bereit, Jims Wünsche zu erfüllen - allerdings ging es dabei nicht um Erleuchtung, sondern um eine Tour durch Portland. Einerseits stand ein hoher Fahrpreis in Aussicht, und andererseits freute er sich, seine Heimatstadt zu zeigen. Sie war tatsächlich außergewöhnlich attraktiv. Guterhaltene historische Backsteingebäude und gußeiserne Umzäunungen gaben sich ein Stelldichein mit modernen Hochhäusern. Es gab viele Parkanlagen mit Springbrunnen und Bäumen, und dadurch erweckte Portland den Eindruck, in einem großen Wald erbaut zu sein. Überall sah Jim Rosen. Sie zeigten nicht so viele Blüten wie im Frühsommer, aber ihre Farbenpracht bot einen herrlichen Anblick.
Nach einer knappen halben Stunde hatte Jim plötzlich das Gefühl, daß die Zeit knapp wurde. Er beugte sich im Fond vor und hörte sich sagen: »Kennen Sie die McAlbury School?«
»Natürlich«, erwiderte Tooley.
»Was hat es damit auf sich?«
»Oh, Ihre Frage klang so, als wüßten Sie Bescheid. Es handelt sich um eine private Grundschule im westlichen Teil von Portland.«
Jims Herz schlug schneller und lauter. »Bringen Sie mich dorthin.«
Tooley blickte in den Rückspiegel und hob die Brauen. »Stimmt was nicht?«
»Ich muß zu der Schule.«
Der Fahrer bremste vor einer roten Ampel und sah über die Schulter. »Ist was nicht in Ordnung?«
»Ich muß zur Schule«, wiederholte Jim etwas schärfer.
»Schon gut…«
Furcht vibrierte in Jim, seit er vor vier Stunden »Rettungsleine« zu der Frau im Supermarkt gesagt hatte. Jetzt schwoll sie an, schlug hohe Wellen, die ihn zur McAlbury School trugen. »Ich muß in fünfzehn Minuten dort sein«, fügte er mit einem Drängen hinzu, für das er keine Erklärung hatte.
»Warum haben Sie mich nicht früher darauf hingewiesen?«
Weil ich es bis eben nicht wußte, dachte Jim. Laut antwortete er: »Schaffen wir es rechtzeitig?«
»Es wird knapp.«
»Ich zahle den dreifachen Fahrpreis.«
»Den dreifachen?«
»Wenn wir das Ziel vor Ablauf von fünfzehn Minuten erreichen«, bestätigte Jim und holte seine Brieftasche hervor. Er entnahm ihr einen Hundert-Dollar-Schein und reichte ihn Tooley. »Nehmen Sie dies als Vorschuß.«
»Ist es so wichtig?«
»Es geht um Leben und Tod.«
Der Fahrer bedachte ihn mit einem verwunderten Blick und schien den Mann im Fond für verrückt zu halten.
»Die Ampel ist gerade umgesprungen«, brummte Jim. »Wir verlieren wertvolle Zeit.«
Die skeptischen Falten fraßen sich tiefer in Tooleys Stirn, aber er sah wieder nach vorn, bog an der Kreuzung nach links ab und trat aufs Gas.
Jim starrte immer wieder auf seine Armbanduhr, und als das Taxi vor der Schule hielt, blieben ihm noch drei Minuten. Er gab Tooley eine weitere Banknote und zahlte sogar mehr als den dreifachen Fahrpreis. Dann öffnete er die Tür, griff nach dem Koffer und stieg aus.
Tooley beugte sich durchs offene Seitenfenster. »Soll ich auf Sie warten?«
Jim stieß die Tür wieder zu. »Nein, danke. Ich brauche Sie nicht mehr.«
Er drehte sich um und hörte, wie das Taxi fortfuhr, als er besorgt die McAlbury School beobachtete: ein großes weißes Gebäude aus der Kolonialzeit, mit einer langen Veranda. Man hatte zwei eingeschossige Anbauten hinzugefügt, um mehr Platz für Klassenzimmer zu schaffen. Douglastannen und große alte Ahornbäume spendeten Schatten. Zusammen mit Rasen und Schulhof beanspruchte das Anwesen die ganze Länge des Blocks.
Eine breite Tür öffnete sich, und Kinder liefen auf die Veranda und die Treppe herunter. Sie lachten laut, trugen Bücher, Zeichenblöcke und bunte, mit Zeichentrickfiguren geschmückte Lunchkästen. Jim begegnete ihnen auf dem Weg und sah ihnen nach, als sie das Tor im eisernen Speerspitzenzaun passierten. Auf dem Bürgersteig wandten sie sich nach rechts und links, gingen am Hang des Hügels hinauf oder hinab.
Noch zwei Minuten. Jim brauchte gar nicht mehr auf die Uhr zu blicken. Sein Herz schlug zweimal in jeder Sekunde, und er wußte die Zeit so genau, als trüge er ein inneres Chronometer.
Sonnenschein filterte durch die Zwischenräume der hohen Bäume und projizierte ein feines Muster auf die Szene und die Menschen darin. Es sah aus, als werde alles von einem langen, hauchzarten und aus goldenen Fäden gesponnenen Tuch bedeckt. Das
Weitere Kostenlose Bücher