Die Kaffeemeisterin
Ohnmacht. Warum sagten ihr die Piketts nicht einfach, wer sie so auf dem Kieker hatte, dass er mit seinen Anschuldigungen ihre ganze Existenz bedrohte? Wenn sie ihren Feind nicht kannte, wie sollte sie ihn dann bekämpfen? Das musste doch auch der Polizei begreiflich sein – einmal mehr, wenn man sie geradezu darauf stieß, sich Gedanken über denjenigen zu machen, der die Anzeige gegen sie aufgegeben hatte. Oder steckte doch mehr dahinter? Vielleicht wollte man ihr ja von ganz oben das Geschäft madig machen und suchte nach offiziellen Wegen, eine Schließung des Lokals zu erwirken? Aber warum? Was sollte der Rat der Stadt Frankfurt gegen die Coffeemühle haben? Sie hatte doch stets sämtliche Abgaben bezahlt und sich immer korrekt verhalten, fast immer jedenfalls …
Eine Welle von Mutlosigkeit drohte sie zu überschwemmen. Wenn sie nicht in Erfahrung brachte, wer hinter der Sache mit der Kaffeeguckerin stand, nützte ihr der momentane Punktsieg überhaupt nichts, erkannte sie plötzlich.
»Würde mich nicht wundern, wenn es die da gewesen wäre«, machte sie schließlich einen lahmen Versuch ins Blaue hinein und deutete mit dem Kinn in Richtung Römerberg, wo Anfang des Jahres ein neuer Kaffeestand eröffnet hatte. Die von einer ehemaligen Kaffeehockerin betriebene Bretterbude konnte zwar nicht mit ihrem Etablissement mithalten, aber viele von Johannas Kunden waren zumindest einmal dorthin gegangen, um den Kaffee auszuprobieren.
»Nein, nein, das können wir verneinen! Mit der Ilse Laubenmacherin auf dem Römerberg hat das Ganze nichts zu tun. Ist zwar auch Konkurrenz für Sie und Ihre Coffeemühle , aber Konkurrenz belebt ja bekanntlich das Geschäft. Derjenige, der da Anzeige gegen Sie erstattet hat, ist jemand ganz anders.«
Der Kükenflaumige versuchte einen rein geschäftsmäßigen Ton anzuschlagen, aber man konnte ihm ansehen, dass er seine Rolle im Gegensatz zu seinem Kollegen deutlich genoss.
Endlich kann er mal seine ganze Macht ausspielen, dachte Johanna, endlich ist er mal nicht der arme Tölpel, der von allen nur ausgelacht wird! Sie fühlte sich fast schon wieder stark, als sie die feiste Gestalt musterte, die da mit vorgeschobener Brust und in die Hüften gestützten Händen vor ihr stand, das ganze Körpergewicht aufs Standbein verlagert, das Spielbein vorangestellt. So viel Lächerlichkeit auf einem Haufen hatte sie lange nicht gesehen. Doch sie durfte jetzt nicht übermütig werden, ermahnte sie sich. Was nützte es ihr, wenn sie dem Polizisten gegenüber erwähnte, dass nur die vier mit einer Gerechtigkeit ausgestatteten Kaffeehäuser einen Ausschank betreiben durften und deshalb die Laubenmacherin genauso illegal arbeitete wie viele andere.
»Wie recht Sie haben, Herr Hauptmann!«, wiederholte sie mit einem demütigen Lächeln, um Zeit zu gewinnen. »Ohne Konkurrenz würde das ganze Geschäft nur halb so viel Spaß machen.«
Angestrengt überlegte sie, wen der Mann mit seiner Bemerkung gemeint haben konnte. Vielleicht ihre bigotte Nachbarin von gegenüber, die mit Begeisterung bei jeder Rufmordkampagne mitmachte? Aber nein, sie anzuzeigen, das traute Johanna der Gewürzkrämerin dann doch nicht zu. Also mochte es einer ihrer Kollegen von den anderen Frankfurter Kaffeehäusern gewesen sein, der gegen sie intrigierte? Nein, auch nicht, korrigierte sie sich sofort. Sie kannte sie alle – für so gemein und hinterhältig hielt sie keinen von ihnen. Wen aber konnte man sonst noch zu ihren Konkurrenten zählen?
Mit einem Mal fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Natürlich, dass sie darauf nicht eher gekommen war!
»Zumal ja all die Apfelweinwirte, Schnapsbrenner und Bierbrauer in gewisser Weise auch noch dazuzuzählen sind«, versuchte sie weiter ihr Glück und lächelte dem Polizisten treu herzig ins Gesicht. »Nicht wahr, Herr Hauptmann, auch diese Leute wollen schließlich ihre Erzeugnisse an den Mann bringen. Also denken sie sich etwas aus, wie sie möglichst viel verdienen können. Entweder sie sind einfach besser als die Kollegen, oder sie brüten irgendwelche anderen Ideen aus, wie sie der Konkurrenz ein Schnippchen schlagen können. So ist es doch, oder etwa nicht?«
»Gewiss, gewiss, auch die Apfelweinzunft hat heutzutage schwer zu kämpfen«, stotterte das Küken ein wenig überrumpelt.
Hatte sie es doch geahnt! Johanna hatte Mühe, ein triumphierendes Lächeln zu unterdrücken. Dabei war ihr eigentlich viel eher zum Heulen zumute. Sie hatte also den richtigen Riecher gehabt:
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