Die Kaffeemeisterin
Immer hastiger wurden ihre Bewegungen, bis er schließlich nackt vor ihr stand.
Stumm betrachtete sie ihn. Nur das Rascheln des Windes in den Blättern der Rosensträucher war zu vernehmen. Ihn schauderte leicht, doch er hätte nicht sagen können, ob es an der aufkommenden Kühle oder an seinem inneren Fieber lag.
Schließlich lächelte Johanna wieder und bedeutete ihm, sich in die Hängematte zu legen.
Mit einer einzigen fließenden Bewegung stieg sie aus ihrem Kleid, das in einem hellen, glänzenden Häufchen zu ihren Füßen liegen blieb. Nur ihre roten Locken bedeckten jetzt noch ihre Blöße, als sie langsam das Bein hob und sich rittlings auf ihn setzte.
Wieder war er Hüseyin in seinem schwankenden Boot. Über ihm schaukelten die weißen Brüste der Meeresgöttin Mihrimâh im Auf und Ab der Wellen. Immer höher türmten sich nun die Wogen, bis sie plötzlich den Kopf nach hinten warf, mit weit geöffneten Augen in den sternklaren Himmel blickte und ein kehliges, glückliches Lachen ausstieß.
Indem Moment spürte auch er, wie die Fluten endgültig über ihm zusammenschlugen. Und wäre er Hüseyin gewesen, der Fischer auf hoher See, so hätte er sich wohl kaum einen schöneren Tod vorzustellen vermocht.
38. KAPITEL
P latsch!
Ein weiterer Tropfen fiel in den Eimer, den sie unter die undichte Stelle im Dach gestellt hatten. Johanna stand auf der obersten Stufe einer langen Leiter und tastete die Schindeln ab, um das Leck zu finden. In der linken Hand hielt sie eine Laterne, weil von außen kein Licht in das Geschoss mit dem spitzen Giebel eintrat. Den ganzen Monat schon regnete es, und jetzt war auch noch ihr Dach undicht! Insgesamt vier Eimer hatten sie auf dem dunklen Speicher verteilt, um alles aufzufangen. Der Oktober war so feucht gewesen, dass der Hof eine einzige Pfütze war. Die Schlösser an den Türen setzten Rost an, und die Luft roch nach Schimmel und nasser Wolle. Wenn das so weiterging, würden sie bald auf Planken durch die Stadt laufen müssen wie die Venezianer! Sie hatte gehört, dass der Main über die Ufer getreten war und das Wasser schon beim Fahrtor stand. Morgen würde sie mit dem Dachdecker reden müssen, denn noch vor dem Winter wollte sie ein dichtes Dach haben. Den Main konnte man nicht aufhalten, aber zumindest von oben sollte das Wasser nicht in ihr Heim dringen.
»Halt die Leiter fest!«, sagte sie zu Anne, bevor sie sich an den Abstieg machte.
»Da ist irgendwas los!«, rief diese aufgeregt.
Sie wackelte mit der Leiter, als sie sich reckte, um besser auf den Lärm hören zu können, der nur von unten aus der Gaststube kommen konnte. Es schien sich jedoch nicht um eine Streiterei zu handeln, wie Johanna sogleich befürchtet hatte. Die Stimmen, die den auf die Dachschindeln prasselnden Regen übertönten, klangen ausgelassen. Wie Willkommensrufe, mit denen man begeistert einen lang Verschollenen begrüßt.
»Dann wollen wir einmal sehen, was da unten los ist!«
Johanna hatte den dunklen Bretterboden erreicht.
»Hier scheint noch eine undichte Stelle zu sein.« Anne hatte sich niedergebeugt und strich mit der Hand prüfend über den Boden. »Ja, hier ist es auch nass.«
»Dann bring noch einen Eimer hoch, damit es euch heute Nacht nicht auf den Kopf regnet«, rief Johanna, die schon halb die Leiter in den obersten Stock hinuntergeklettert war, wo sich die Kammern der Dienstboten befanden. »Bei diesen Wassermassen, die ständig vom Himmel herunterstürzen, muss man aufpassen, dass man nicht in den Fluten versinkt.«
Aus dem Treppenturm waren hastige Schritte zu hören, die nach oben eilten.
»Mutter, wo bist du denn?«
Das war Lilis Stimme.
»Was ist denn da unten los, Lili?«
»Justus ist wieder da!«
Atemlos blieb Lili vor Johanna stehen. Ihre Wangen waren ganz rot vom schnellen Laufen. Und von der Aufregung, wie Johanna mutmaßte. Sie hatte ihre Jüngste im Verdacht, dass auch sie ein wenig für den Neffen des Schultheißen schwärmte.
»Justus? Dann ist er also wieder frei?«
»Ja, er ist geradewegs von der Konstablerwache hergekommen.«
Ohne weiter auf Lili zu achten, stürmte Johanna die Wendeltreppe des Turms hinunter. Noch bevor sie die Gaststube erreicht hatte, konnte sie schon Justus’ sonoren Bass aus dem Stimmengewirr in der Gaststube heraushören.
»Ich schwing’ mich also auf das Geländer. Und ihr könnt euch ja denken, dass ich schon ganz schön einen in der Krone hatte … Da wirft der die Axt nach unserer Wirtin! Ich hab mir fast in die
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