Die Kameliendame
beide in Ketten und können sich nicht mehr befreien. Was wollen Sie dann tun? Ihre Jugend ist verloren, die Zukunft meines Sohnes zunichte gemacht. Und ich, sein Vater, kann nur noch für meine Tochter das Lebensglück erhoffen, das ich auch meinem Sohn wünschte. Sie sind jung, Sie sind schön. Das Leben wird Sie trösten. Sie sind auch ein edler Mensch, und das Bewußtsein einer guten Tat wird Ihnen viel Verlorenes ersetzen. Armand kennt Sie seit sechs Monaten, er hat mich seither vergessen. Viermal schrieb ich ihm, er dachte nicht daran, mir zu antworten. Ich hätte sterben können, ohne daß er es erfahren hätte.
Auch wenn Sie fest entschlossen sind, nicht mehr so zu leben, wie Sie es bisher taten, wird Armand nicht mit der Zurückgezogenheit zufrieden sein, zu der seine bescheidene Vermögenslage Sie zwingen würde, und Sie sind auch zu schön für ein derartiges Leben. Wer weiß, welche Torheit er dann Ihretwegen begehen würde? Er hat gespielt, ich weiß es. Ich weiß noch mehr, aber ich sage es Ihnen nicht. In einem unbedachten Moment kann er mit einer einzigen Partie verlieren, was ich in vielen Jahren für die Aussteuer meiner Tochter gespart habe, für ihn und auch für mich, um im Alter sorgenlos leben zu können. Noch geschah nichts Derartiges, aber es kann geschehen. Sind Sie sicher, daß das Leben, das Sie um seinetwillen aufgeben, Sie nicht eines Tages wieder lockt? Sind Sie sicher, daß Sie niemals mehr einen anderen lieben werden? Fürchten Sie nicht die Schranken, die dieses Leben mit Ihnen Ihrem Geliebten auferlegen würde? Werden Sie ihm helfen können, wenn in späteren Jahren der Ehrgeiz an die Stelle der Liebe tritt? Bedenken Sie das alles, liebe gnädige Frau! Sie lieben Armand, beweisen Sie das durch die einzig mögliche Tat: opfern Sie Ihre Liebe seiner Zukunft. Noch ist kein Unglück geschehen, aber es wird eines geschehen, und vielleicht ein viel größeres, als ich voraussehe, wenn Sie nicht verzichten.
Armand könnte auf einen Mann eifersüchtig werden, der Sie einmal geliebt hat. Er könnte ihn fordern, könnte selbst im Duell getötet werden. Bedenken Sie, wie Sie dann leiden würden und wie Sie vor dem Vater dastünden, der von Ihnen Rechenschaft über das Leben seines Sohnes fordern würde.
Und dann, mein Kind, hören Sie weiter zu, denn ich habe Ihnen noch nicht alles gesagt, was mich nach Paris führt. Ich habe eine Tochter, das sagte ich Ihnen schon. Sie ist jung, hübsch und rein wie ein Engel. Auch sie liebt, und diese Liebe ist der Traum ihres Lebens. Ich habe Armand das alles geschrieben, aber da nur Sie sein Denken erfüllen, hat er mir nicht einmal darauf geantwortet. Meine Tochter möchte nun heiraten. Sie heiratet den Mann, den sie liebt, und kommt dadurch in eine sehr ehrenwerte Familie, die wünscht, daß auch in meiner Familie alles so sei, wie es sein soll. Nun hat diese Familie erfahren, welches Leben Armand in Paris führt. Sie fordert, daß Armand dieses Leben aufgibt, oder sie nimmt das gegebene Wort zurück. Die Zukunft meiner Tochter, die Ihnen nichts getan hat und die ein Recht auf ihre Zukunft hat, liegt also in Ihren Händen.
Fühlen Sie sich so sicher, daß Sie diese Zukunft zerstören dürfen? Bei Ihrer Liebe und bei Ihrem Gewissen, Marguerite, lassen Sie meiner Tochter ihr Glück.' Ich weinte still vor mich hin, als ich mir diese Dinge durch den Kopf gehen ließ. Im Munde Ihres Vaters wurde alles so gewichtig. Ich hörte auch das, was Ihr Vater mir nicht laut zu sagen wagte, obgleich es ihm zwanzigmal auf den Lippen schwebte: daß ich ja eigentlich nur ein ausgehaltenes Mädchen sei und daß unser Verhältnis, welche Rechtfertigung wir ihm auch geben würden, immer den Anschein der Berechnung haben würde. Meine Vergangenheit erlaubte nicht, daß ich einen derartigen Zukunftstraum hegte. Ich hätte eine Verantwortung auf mich nehmen müssen, für die mein bisheriges Leben und mein Ruf keine Gewähr boten. Und dann liebe ich Sie, Armand. Die väterliche Art, in der Herr Duval zu mir sprach, weckte meine edelsten Empfindungen. Ich sagte mir, daß ich die Achtung des gerechten Mannes erringen würde und auch Ihre eigene, wenn Sie erst alles erfahren haben. Die Bitten Ihres Vaters hoben mein Selbstgefühl, etwas mir bis dahin Unbekanntes. Wenn ich bedachte, daß der alternde Mann eines Tages seine Tochter bitten würde, meinen Namen in ihre Gebete einzuschließen, wie den Namen einer geheimnisvollen Freundin, dann wurde ich ein anderer Mensch und stolz auf
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