Die Kampagne
Arsch.«
Frank zündete sich eine niederländische Zigarre an und grinste durch einen Rauchschleier zu Shaw hinauf. »Du glaubst also, du bist wichtig genug für uns, dass wir dich über die ganze Welt jagen? Meine Güte, was für ein Ego.«
»Mögest du nie alt werden, Frank.«
Kapitel 8
V ergesst Konstantin nicht« hatte einen Höhepunkt erreicht. In fünfzig Ländern kam es zu antirussischen Demonstrationen, und die Vereinten Nationen hatten einen wütenden Präsident Gorschkow formell um eine ausführliche Stellungnahme ersucht. Und doch versuchten ruhigere und skeptischere Geister einen Wall gegen die Flut antirussischer Sentiments zu errichten.
Eine Vielzahl Politiker, Journalisten und Leute aus diversen Think-Tanks, die in der Vergangenheit rasch mit einem Urteil bei der Hand gewesen waren, mahnten nun zu Vorsicht und Zurückhaltung infolge der »Vergesst Konstantin nicht«-Welle. Immer mehr Fragen waren aufgetaucht, was die Authentizität von Mann und Video betraf, besonders angesichts der detaillierten Dementis der russischen Regierung, die zudem regierungsfernen Medien einen nie zuvor gekannten Zugang zu ihren Akten gewährt hatte. Kurz nach dieser Kooperationsmaßnahme seitens Moskaus war das weltweite Ressentiment, Russland sei das leibhaftige Böse, ein wenig abgeebbt, und überall auf der Welt atmeten Politiker wieder ein bisschen leichter.
Doch es war die Ruhe vor dem Sturm.
Zwei Tage später erlitt die Welt erneut einen kollektiven Schock, als - verteilt von Servern auf allen Kontinenten - die Namen Tausender Russen auftauchten, die angeblich von ihrer Regierung ermordet worden waren. Auf dieser Liste standen Männer, Frauen, Kinder, Junge, Alte, Schwangere und Behinderte. Und zu jedem Namen gab es ein Gesicht, Details aus dem Leben und Einzelheiten über den grausamen Tod. Doch schlimmer noch war, dass alle diese Daten Indizien aufwiesen, dass sie tatsächlich aus offiziellen russischen Akten stammten. Die Betreff-Zeile war schlicht und schrecklich zugleich: »Es ist nicht nur Konstantin, den ihr nicht vergessen sollt.«
Kurz darauf meldeten sich sogenannte Experten - ausgebürgerte Russen und Personen aus ehemaligen Ostblockstaaten - im Fernsehen, im Radio und im Web, um Russland für dessen vermeintlichen Rückfall in alte, schreckliche Zeiten des Weltherrschaftsstrebens zu geißeln.
Es war, als hätte das Bild des armen, gefolterten Konstantin, gestützt von Tausenden »neuen« Toten, den Menschen endlich den Mut verliehen, die Wahrheit zu sagen. Eine eher bizarre Nebenwirkung war, dass plötzlich Kaffeebecher und T-Shirts mit Konstantins geschundenem Gesicht den Weltmarkt überfluteten; er war offenbar der Che Guevara seiner Generation. Die Sechziger kehrten auch in anderer Hinsicht wieder zurück: mit Bildern von Atompilzen in jedermanns Kopf.
Leute, die behaupteten, mit Konstantin verwandt oder befreundet gewesen zu sein, erschienen an den verschiedensten Orten weltweit in den Nachrichten und erzählten die Leidensgeschichte eines Mannes, der nie existiert hatte. Trotzdem sponnen sie voller Leidenschaft ihr Garn; offenbar hatten sie sich selbst davon überzeugt, dass Konstantin real war und dass sie ihn gekannt hatten. Er war ein Märtyrer, berühmt und geliebt, und nun waren sie es auch. Ihre gequälte Erscheinung fesselte die Aufmerksamkeit und die Herzen von Menschen auf der ganzen Welt.
Die Talkshowmaster und Nachrichtensprecher stellten diesen Leuten viele tiefschürfende Fragen wie: »Das alles ist sehr beunruhigend, meinen Sie nicht?«, oder: »Wenn er noch leben würde, welche Botschaft würde der arme, ermordete Konstantin unseren Millionen Zuschauern wohl übermitteln wollen?«
Auf einem Kanal der BBC erklärte ein Mann weise: »In einer Welt mit wenig Energie und noch weniger Wasser, einer Welt, in der jeden Tag neue Feinde aus dem Boden sprießen, sind die Russen offenbar nicht bereit, nach Ländern wie China, Indien oder sogar den Vereinigten Staaten die zweite Geige zu spielen.« Der Mann fügte hinzu, die Russen hätten es mit der Demokratie versucht, sie jedoch abgelehnt. Der Russische Bär habe sich wieder erhoben, und die Welt dürfe da verdammt noch mal nicht wegschauen.
Und die Welt hatte nicht weggeschaut, denn der Sprecher dieser Worte war niemand anders als Sergej Petrow, die ehemalige Nummer zwei in der Nachfolgeorganisation des KGB, dem Föderalen Sicherheitsdienst, kurz FSB. Nur mit Mühe und Not hatte Petrow aus seinem Heimatland fliehen können. Er
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