Mission Walhalla
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Kapitel 1 KUBA 1954
«Der Engländer da, bei Ernestina», sagte sie und deutete mit einem Kopfnicken in Richtung eines Pärchens, das in einer Ecke des luxuriös ausgestatteten Klubs beisammensaß. «Der erinnert mich an Sie, Señor Hausner.»
Doña Marina kannte mich nicht besser als jeder andere auf Kuba, oder vielleicht doch, weil uns mehr als bloß eine nette Bekanntschaft verband: Doña Marina besaß das größte und beste Bordell in ganz Havanna.
Der Engländer war groß, hatte hängende Schultern, blassblaue Augen und ein trauriges Gesicht. Er trug ein kurzärmeliges blaues Leinenhemd, eine graue Baumwollhose und blitzblanke schwarze Schuhe. Ich hatte das Gefühl, ihn schon einmal gesehen zu haben, in der Floridita Bar oder vielleicht in der Lobby des Hotel Nacional. Aber mehr als der Engländer interessierte mich in diesem Moment die neue, halbnackte
chica
auf seinem Schoß, die sich gelegentlich an seiner Zigarette bediente, während er vergnügt ihre kolossalen Brüste in den Händen wog, als versuchte er, den Reifegrad zweier Pampelmusen einzuschätzen.
«Inwiefern?», fragte ich und musterte mich in dem großen Wandspiegel, auf der Suche nach einer Gemeinsamkeit zwischen uns, abgesehen von der Hochachtung vor Ernestinas Brüsten, auf denen sich deutlich die großen dunklen Brustwarzen abzeichneten.
Das Gesicht, das mir aus dem Spiegel entgegenblickte, war breiter als das des Engländers, das Haar voller, aber beide waren wir um die fünfzig und vom Leben gezeichnet. Möglicherweise dachte Doña Marina, dass unsere Mienen nicht nur gelebtes Leben verrieten, sondern auch eine Spur von schlechtem Gewissen und Komplizenschaft erkennen ließen, als hätte keiner von uns beiden das getan, was er hätte tun müssen oder, schlimmer noch, als lebte jeder von uns mit einer geheimen Schuld.
«Sie beide haben die gleichen Augen», sagte Doña Marina.
«Ach, Sie meinen, sie sind blau», sagte ich, obwohl ich ahnte, dass sie das wahrscheinlich ganz und gar nicht meinte.
«Nein, das ist es nicht. Sie und Señor Greene sehen die Menschen auf eine bestimmte Art und Weise an. Als würden Sie in sie hineinblicken. Wie ein Spiritist. Oder vielleicht wie ein Polizist. Sie haben beide diesen durchdringenden Blick, als würden Sie jeden Menschen sofort durchschauen. Das kann einen richtig verunsichern.»
Es war kaum vorstellbar, dass Doña Marina sich von irgendwas oder irgendwem verunsichern ließ. Sie wirkte immer so entspannt wie eine Eidechse auf einem sonnenwarmen Felsen.
«Señor Greene, also?» Es überraschte mich nicht, dass Doña Marina keinen Hehl aus seiner Identität machte. Die Casa Marina war keines der Häuser, die man lieber unter falschem Namen betrat. Im Gegenteil, man brauchte Referenzen, um überhaupt eingelassen zu werden. «Vielleicht ist er ja Polizist. Würde mich nicht wundern, bei den großen Füßen.»
«Er ist Schriftsteller.»
«Was schreibt er denn?»
«Romane. Western, glaube ich. Er hat mir erzählt, dass er unter dem Namen Buck Dexter schreibt.»
«Nie von ihm gehört. Lebt er auf Kuba?»
«Nein, in London. Aber er kommt immer vorbei, wenn er in Havanna ist.»
«Ein Weltenbummler, was?»
«Ja. Anscheinend ist er gerade auf der Durchreise nach Haiti.» Sie lächelte. «Fällt Ihnen noch immer keine Gemeinsamkeit auf?»
«Nein, eigentlich nicht», erklärte ich mit Nachdruck und in der Hoffnung, dass sie das Thema wechseln würde.
«Wie lief es heute mit Omara?»
Ich nickte. «Gut.»
«Sie gefällt Ihnen, ja?»
«Sehr.»
«Sie ist aus Santiago», sagte Doña Marina, als würde das alles erklären. «Meine besten Mädchen kommen aus Santiago. Sie sehen von allen Mädchen auf Kuba am afrikanischsten aus. Darauf scheinen die Männer zu fliegen.»
«Da will ich nicht widersprechen.»
«Ich glaube, das hat damit zu tun, dass schwarze Frauen im Gegensatz zu weißen Frauen ein Becken haben, das fast so breit ist wie bei einem Mann. Ein anthropoides Becken. Und ehe Sie mich fragen, woher ich das weiß, ich war mal Krankenschwester.»
Das passte ins Bild. Doña Marina legte großen Wert auf Gesundheit und Hygiene, und zum Personal in ihrem Haus am Malecón gehörten zwei ausgebildete Krankenschwestern, die mit allem fertigwurden, vom Tripper bis zum Herzinfarkt. Es hieß, man hätte in der Casa Marina bessere Chancen, einen Herzstillstand zu überleben, als in der Universitätsklinik von Havanna.
«Santiago ist der reinste Schmelztiegel», fuhr sie fort.
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