Die Kane-Chroniken – Der Schatten der Schlange
Brandspuren auf den Artefakten entdeckt oder vielleicht eine Statue, deren Kopf verkehrt herum angeklebt ist – tja, sorry. Das war vermutlich unsere Schuld.
Als die Polizei die Straßen abriegelte und den Explosionsherd absperrte, versammelte sich unser Team auf dem Museumsdach. Zu besseren Zeiten hätten wir vielleicht mit einem Artefakt ein Portal nach Hause geöffnet; doch während der letzten Monate war Apophis immer stärker geworden und mittlerweile waren Portale zu riskant.
Stattdessen pfiff ich nach unserer Mitfahrgelegenheit. Freak der Greif schwebte vom Dach des nahe gelegenen Fairmont Hotels herunter.
Es ist nicht leicht, ein gutes Versteck für einen Greif zu finden, schon gar nicht, wenn er auch noch ein Boot hinter sich herzieht. So etwas kann man nicht einfach am Straßenrand abstellen und ein paar Münzen in die Parksäule werfen. Da Freak außerdem bei Fremden nervös wird und sie dann auffrisst, hatte ich ihn mit einer Kiste Tiefkühltruthähne, die ihn hoffentlich eine Weile beschäftigen würden, auf dem Dach des Fairmont abgesetzt. Sie müssen gefroren sein. Ansonsten schlingt er sie zu schnell herunter und bekommt Schluckauf.
(Sadie will, dass ich die Geschichte schneller erzähle. Sie meint, euch seien die Ernährungsgewohnheiten von Greifen egal. Also gut, tut mir leid.)
Jedenfalls landete Freak auf dem Museumsdach. Er war ein bildschönes Ungeheuer, zumindest, wenn man auf psychotische falkenköpfige Löwen steht. Sein Fell hatte die Farbe von Rost, und wenn er flog, klangen seine Kolibriflügel wie eine Symphonie mit Kettensägen und Kazoos.
»FRIEEEK!«, krächzte Freak.
»Hast Recht, Kumpel«, pflichtete ich ihm bei. »Lass uns von hier abhauen.«
Das Boot, das hinter ihm herschwebte, war ein altägyptisches Modell – es hatte die Form eines großen Kanus und war aus Papyrusbündeln gebaut und mit einem Zauber Walts belegt, damit es, egal, wie viel Gewicht es trug, in der Luft blieb.
Das erste Mal, als wir mit Air Freak flogen, hatten wir das Boot unter Freaks Bauch festgebunden, was sich aber als ziemlich wackelige Angelegenheit erwiesen hatte. Man konnte auch nicht einfach auf seinem Rücken reisen, weil einen diese Hochgeschwindigkeitsflügel kurzerhand geschreddert hätten. Die neue Lösung hieß also Schlittenboot. Außer wenn Felix den Menschen »Ho, ho, ho, fröhliche Weihnachten!« zubrüllte, funktionierte es tadellos.
Da aber die meisten Sterblichen Magie nicht klar erkennen können, bin ich nicht sicher, was genau sie in diesen Fällen zu sehen oder zu hören glaubten. Viele von ihnen haben bestimmt die Dosierung ihrer Medikamente in Frage gestellt.
Wir stiegen in den Nachthimmel auf – wir sechs und ein kleiner Schrank. Ich verstand immer noch nicht, warum Sadie sich so für den goldenen Kasten interessierte, doch ich vertraute ihr genug, um zu glauben, dass er wichtig war.
Ich blickte auf das Trümmerfeld des Skulpturengartens hinunter. Der qualmende Krater sah wie ein verzerrter schreiender Mund aus. Löschfahrzeuge und Polizeiautos bildeten eine Einfassung aus roten und weißen Lichtern. Wie viele Magier waren wohl bei der Explosion gestorben?
Freak flog schneller. Meine Augen brannten, aber das lag nicht am Wind. Ich drehte mich weg, damit mich niemand sehen konnte.
Deine Anführerschaft ist zum Scheitern verurteilt.
Apophis behauptete alles Mögliche, um uns zu verwirren und Zweifel zu säen. Trotzdem hatten mich seine Worte hart getroffen.
Ich war nicht gerne ein Anführer. Den anderen zuliebe musste ich immer zuversichtlich wirken, selbst wenn ich es nicht war.
Mir fehlte mein Vater, auf den ich mich verlassen konnte. Ich vermisste Onkel Amos, der nach Kairo gegangen war, um dort das Lebenshaus zu führen. Was Sadie, meine rechthaberische Schwester, anbelangt, unterstützt sie mich zwar immer, aber sie hat klargestellt, dass sie keine Lust hat, eine Autoritätsperson zu sein. Offiziell oblag mir die Leitung des Brooklyn House. Offiziell sagte ich, wo es langging. Für mich bedeutete das, dass Fehler wie die Auslöschung eines kompletten Nomos meine Schuld waren.
Okay, Sadie würde mir nie die Schuld für so etwas geben, aber es war nun mal mein Gefühl.
Alles, was du aufzubauen versucht hast, wird in sich zusammenfallen.
Es war schwer vorstellbar, dass noch nicht mal ein Jahr vergangen war, seit Sadie und ich in vollkommenem Unwissen über unser Erbe und unsere Fähigkeiten ins Brooklyn House gekommen waren. Und nun schmissen wir den Laden –
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