Die Kane-Chroniken – Der Schatten der Schlange
nicht fair von Anubis, dass er einfach so in meinen Träumen aufkreuzte, heiß und unsterblich aussah, während der arme Walt sein Leben riskierte, um mich zu beschützen, und dadurch jeden Tag schwächer wurde. Mir fiel ein, wie er in der Duat ausgesehen hatte, in seinen geisterhaften grauen Mumienbinden …
Nein, daran durfte ich nicht denken. Ich zwang mich, mich auf den goldenen Schrein zu konzentrieren.
Schau auf das, was nicht da ist , hatte Anubis gesagt. Scheißgötter und ihre Scheißrätsel.
Das Gesicht in der Wand – Onkel Vinnie – hatte mir gesagt, dass uns der Kasten einen Hinweis geben würde, wie wir Apophis schlagen konnten, vorausgesetzt , ich war schlau genug, ihn zu verstehen.
»Ich weiß noch nicht, was damit gemeint ist«, räumte ich ein. »Wenn die Texaner uns erlauben, den Kasten mit ins Brooklyn House zu nehmen …«
Mit Erschrecken wurde mir bewusst, dass draußen keine Explosionen mehr zu hören waren. Nur unheimliche Stille.
»Die Texaner!«, schrie ich. »Was ist mit ihnen geschehen?«
Felix und Alyssa stürzten auf den Ausgang zu. Carter und Walt halfen mir aufzustehen, dann rannten wir hinterher.
Die Wachen standen nicht mehr auf ihrem Posten. Als wir ins Museumsfoyer kamen, sah ich draußen im Skulpturengarten weiße Rauchsäulen aufsteigen.
»Nein«, murmelte ich. »Nein, nein.«
Wir rasten über die Straße. Der gepflegte Rasen war nun ein Krater von der Größe eines olympischen Schwimmbeckens. Am Grund lagen geschmolzene Metallskulpturen und Steinbrocken. Tunnel, die früher einmal in die Zentrale des Einundfünfzigsten Nomos geführt hatten, waren eingebrochen, als hätte irgendein Rowdy einen riesigen Ameisenhaufen niedergetrampelt. Am Rande des Kraters lagen qualmende Fetzen Abendgarderobe, zertrümmerte Platten mit Tacos, zerbrochene Champagnerflöten und die zerschmetterten Zauberstäbe der Magier.
Gib dir nicht die Schuld an den Todesfällen , hatte meine Mutter gesagt.
Ich lief wie in Trance zu den Überresten der Bühne. Die halbe Betonplatte war abgebrochen und in den Krater gerutscht. Neben einem glänzenden Stück Silber lag eine verkohlte Fiedel im Dreck.
Carter stellte sich neben mich. »Wir – wir sollten suchen«, sagte er. »Vielleicht gibt es Überlebende.«
Ich unterdrückte ein Schluchzen. Ich konnte nicht sagen, warum, aber ich spürte die Wahrheit mit absoluter Gewissheit. »Es gibt keine.«
Die texanischen Magier hatten uns freundlich aufgenommen und unterstützt. JD Grissom hatte mir die Hand geschüttelt und mir Glück gewünscht, bevor er zu seiner Frau gerannt war. Doch wir hatten schon in anderen Nomoi gesehen, was Apophis anrichtete. Carter hatte JD gewarnt: Die Schergen der Schlange verschonen niemanden.
Ich kniete mich hin und hob das glänzende Silberstück auf – es war eine halb geschmolzene Gürtelschnalle mit dem Lone Star.
»Sie sind tot«, sagte ich. »Alle.«
Carter
3.
Wir gewinnen einen Kasten ohne Inhalt
Für diese nette Geschichte reicht mir Sadie das Mikrofon. [Vielen Dank auch, Schwesterherz.]
Ich würde euch gern erzählen, dass Sadie sich im Hinblick auf den Einundfünfzigsten Nomos getäuscht hat. Ich würde euch liebend gern erzählen, dass die texanischen Magier alle wohlauf waren. Doch das stimmt nicht. Wir fanden nichts außer den Überresten des Kampfes: verkokelte Zaubermesser aus Elfenbein, ein paar zertrümmerte Uschebti, glimmende Leinen- und Papyrusfetzen. Genau wie bei den Angriffen in Toronto, Chicago und Mexiko-Stadt waren die Magier einfach unauffindbar. Sie hatten sich in Dampf aufgelöst, waren verschlungen oder auf andere grausame Arten umgebracht worden.
Am Rande des Kraters brannte eine Hieroglyphe im Gras: Isfet , das Symbol des Chaos. Ich hatte das Gefühl, dass Apophis sie dort als Visitenkarte hinterlassen hatte.
Wir befanden uns alle im Schockzustand, aber es war keine Zeit, unsere Kameraden zu betrauern. Die weltliche Obrigkeit würde in Kürze eintreffen und am Tatort ermitteln. Wir mussten den Schaden, so gut es ging, eindämmen und alle Spuren von Magie beseitigen.
Im Hinblick auf den Krater konnten wir nicht viel tun. Man würde wohl wieder eine Gasexplosion vermuten. (Das passierte uns häufig.)
Wir versuchten, das Museum und die König-Tut-Ausstellung wieder in Ordnung zu bringen, aber das war nicht so einfach, als würden wir mal eben den Museumsshop aufräumen. Magie hat ihre Grenzen. Wenn ihr also eines Tages in eine König-Tut-Ausstellung geht und Risse oder
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