Die Kartause von Parma
auch!«
Ohne Zaudern, wenngleich halbtot vor Grauen, sprang Fabrizzio vom Pferde, ergriff die Hand des Toten und schüttelte sie herzhaft. Dann stand er wie geistesabwesend da; er fühlte, daß er nicht die Kraft hatte, wieder in den Sattel zu kommen. Was ihm vor allem Schauder einflößte, das war das eine offene Auge.
›Die Marketenderin wird mich für einen Feigling halten‹, sagte er sich mit Bitternis. Aber er vermochte kein Glied zu rühren; er wäre dabei umgefallen.Dieser Augenblick war abscheulich. Es fehlte nicht viel, so wäre ihm völlig übel geworden. Die Marketenderin merkte das, sprang flink von ihrem kleinen Wagen und bot ihm, ohne ein Wort zu sagen, ein Glas Branntwein an, das er auf einen Zug hinunterstürzte. Er konnte wieder auf seinen Klepper klettern und setzte schweigsam seinen Marsch fort. Die Marketenderin schielte ihn von Zeit zu Zeit von der Seite an.
»Du kannst morgen ins Gefecht gehen, mein Junge«, sagte sie nach einer Weile. »Heute bleibst du bei mir! Du siehst wohl ein, daß du das Soldatenhandwerk erst lernen mußt.«
»Im Gegenteil, ich will sofort ins Gefecht!« rief unser junger Held mit finsterer Miene, die die Marketenderin von guter Vorbedeutung dünkte.
Der Kanonendonner wurde noch stärker und schien näher zu kommen. Die Kanonade bildete jetzt gleichsam einen Generalbaß. Zwischen Schuß und Schuß gab es keine Pause mehr, und durch das unaufhörliche Brummen hindurch, das an das Tosen eines fernen Wasserfalls erinnerte, vernahm man deutlich das Knattern des kleinen Gewehrs.
In diesem Augenblick führte der Weg in ein Wäldchen. Die Marketenderin sah drei oder vier Soldaten in großen Sätzen auf sich zulaufen. Behend sprang sie vom Wagen und verbarg sich eiligst fünfzehn bis zwanzig Schritt seitwärts vom Weg in einer Grube, die vom Ausroden eines großen Baumes offen geblieben war. ›Jetzt‹, sagte sich Fabrizzio, ›werde ich sehen, ob ich ein Feigling bin!‹ Er hielt neben dem von der Marketenderin im Stich gelassenen Wagen und zog seinen Säbel. Die Soldaten bemerkten ihn gar nicht und liefen spornstreichs vorüber, längs des Gehölzes, links vom Wege.
»Das sind welche von uns!« sagte die Marketenderin beruhigt, indem sie außer Atem wieder zu ihrem Wägelchen zurückkam. »Wenn deine Kracke Galopp ginge, würde ich dir sagen: Reite vor an den Waldrand und sieh nach, was im freien Felde los ist.«
Fabrizzio ließ sich das nicht zweimal sagen. Er riß einen Pappelzweig herunter, streifte die Blätter ab und schlug aus Leibeskräften auf seinen Gaul los. Ein Stück Wegs galoppierte er; dann fiel er wieder in seinen gewohnten Zotteltrab. Die Marketenderin hatte ihr Pferdchen gleichfalls in Galopp gesetzt.
»Halt, nimm mich mit!« schrie sie ihm zu.
Bald waren sie beide am anderen Rande des Gehölzes. Die Ebene lag frei vor ihnen. Sie hörten schreckliches Getöse. Die Geschütze und das Gewehrfeuer krachten von allen Seiten, rechts, links, im Rücken. – Das kleineGehölz, aus dem sie getreten waren, lag auf einem Hügel acht oder zehn Fuß über der Ebene. So überschauten sie recht gut ein kleines Stück des Schlachtfeldes. Auf dem Wiesenland vor dem Wäldchen sah man niemanden. Tausend Schritt weiter war die Wiese von einer langen Reihe dichter Weiden begrenzt. Über den Weiden sah man weißen Rauch, der mitunter hoch in die Luft emporwirbelte.
»Wenn ich nur wüßte, wo das Regiment ist!« sagte die Marketenderin ratlos. »Geradeaus über die große Wiese dürfen wir nicht. Übrigens,« riet sie Fabrizzio, »wenn du einen Feindlichen siehst, so kitzle ihn ein bißchen mit der Säbelspitze; laß dir aber nicht einfallen, ihn niederzusäbelnl«
In diesem Augenblick sah die Marketenderin die vier Soldaten von vorhin wieder. Sie kamen aus dem Gehölz heraus und liefen in die Ebene, links vom Wege. Einer von ihnen war zu Pferde.
»Das ist was für dich!« sagte sie zu Fabrizzio. »He! Hallo!« rief sie dem Reiter zu. »Komm und trink 'nen Schnaps!«
Die Soldaten kamen heran.
»Wo ist das sechste Leichte?« fragte sie.
»Da drüben! Fünf Minuten von hier, vor dem Graben dort an den Weiden entlang! Oberst Macon ist eben gefallen.«
»Du, willst du fünf Franken für deinen Gaul?«
»Fünf Franken? Du willst mich wohl zum Narren halten, Muttchen? Ein Offizierspferd, für das ich binnen einer Viertelstunde fünf Napoleons kriege!«
»Gib mir einen von deinen Napoleons!« sagte die Marketenderin zu Fabrizzio. Dann ging sie dicht an den Reiter
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