Die Karte Des Himmels
gedehnt.
»Mal ehrlich«, mischte sich die mollige, alberne Paula ein, »hast du eins von diesen châteaux gesehen, kennst du doch alle diese blöden alten Kästen.« Alle lachten, und Jude zwang sich zu einem höflichen Lächeln.
Jude, deren blasse englische Haut in der Sonne knallrot wurde, hasste es, an Pools herumzuliegen. Der ideale Urlaub hieß für sie, in beschaulichen Städtchen und Dörfern herumzuspazieren und etwas über ihre Geschichte zu erfahren, die oft erstaunlich bewegt und stürmisch gewesen war. Es sah so aus, als müsste sie diesmal allein auf Entdeckungstour gehen, denn nach dem Gespräch in dem Weinlokal konnte sie sich nicht vorstellen, dass Caspar Lust hatte, herumzustreifen und die Gegend zu erkunden.
Nun war sie glücklich wieder zu Hause, schleuderte ihre Schuhe in die Ecke und ging in die Küche, um Wasser aufzusetzen. Entspannt genoss sie ihre eigene Gesellschaft – in diesem hübschen Haus fühlte sie sich nie vollkommen allein. Es war das Zuhause, das Mark und sie bei ihrer Verlobung gemeinsam für sich ausgesucht und in dem sie während der kurzen drei Jahre ihrer Ehe gewohnt hatten. Sie spürte ihn immer noch sehr stark, so als ob er jeden Moment durch die Tür spazieren könnte. In den letzten Jahren hatten verschiedene Leute – ihre Mutter, ihre Schwester, Marks Schwester und Sophie – sich allmählich Sorgen darüber gemacht. Sie hatten ihr vorgeschlagen, das Haus zu verkaufen, und damit stillschweigend angedeutet, dass es nicht gesund sei, sich mit all diesen Erinnerungsstücken zu umgeben. Aber davon abgesehen, dass Jude ihnen erlaubte, Marks Kleidung auszusortieren, hatte sie nichts unternommen. Es gab ihr Sicherheit, mitten in seinen Sachen zu leben; es war ein Teil ihrer Überlebenstechnik. An den weiß gestrichenen Wänden des Wohnzimmers hingen immer noch seine atemberaubend schönen Fotos. Entstanden waren sie bei Kletterexpeditionen in die patagonische Wildnis, zum Kilimandscharo und in die Cairngorms, Reisen, die er dank seines Lehrerberufes in den großen Ferien unternehmen konnte. Einige der modernen Möbel wie das schmiedeeiserne Bett und das hell gemusterte Sofa hatten sie gemeinsam ausgesucht, aber der ovale viktorianische Spiegel und die Fliesen von William de Morgan vor dem Kamin waren Judes Wahl. Mark mochte das Neue, Jude das Alte. Sie hatten sich einen Spaß daraus gemacht. Immer wenn sie irgendwo hingefahren waren, nach Norfolk zum Beispiel oder auf einen Tagesausflug an die Südküste, hatte Jude gesagt: »Ich schau hier nur mal kurz rein«, und war in irgendeinem geheimnisvollen Laden verschwunden, der voller faszinierender Schätze steckte. Mark blieb es überlassen, sich die modernen Spielereien im Camping Shop oder bei Chandler’s anzusehen. Über manche ihrer Kuriositäten hatte er gelacht, besonders über das kleine Trio indischer Elefanten, deren Knopfaugen sie vom Fenster eines Trödelladens aus angefleht hatten.
Jude trank ihren Kaffee, ging langsam im Wohnzimmer herum und blieb stehen, um den kleinen antiken Globus auf der Anrichte zu drehen. Sie nahm einen Ebenholzelefanten in die Hand und genoss die Wärme des Holzes auf ihrer Haut. »Elefanten sollten immer zur Tür schauen, sonst bringt es Unglück«, hatte sie Mark erklärt.
»Warum zur Tür?«, hatte er gefragt und die Arme verschränkt, was immer ein Zeichen dafür war, dass er jetzt den skeptischen Wissenschaftler gab. Das war ein weiterer Unterschied zwischen ihnen gewesen. Sie liebte alte Legenden und den Aberglauben; er war daran interessiert, solche Geschichten zu entzaubern. Aber beide hatten es genossen, lebhaft darüber zu diskutieren.
»Das hat Dad immer gesagt. Vielleicht weil sie schnell ins Freie gelangen wollen, falls ein Feuer ausbricht oder so.«
»So was Verrücktes habe ich noch nie gehört«, hatte Mark sie geneckt, und beide hatten gelacht.
Sie waren in sehr vieler Hinsicht grundverschieden voneinander gewesen. Aber das Schicksal hatte sie füreinander bestimmt. Jude hatte das immer gespürt. Schon als sie sich das erste Mal begegnet waren. Warum nur war sie so um das Glück betrogen worden?
Jude staubte den kleinen Elefanten ab und stellte ihn sorgfältig an seinen Platz zurück.
Bei dem Gedanken, dass der ganze Samstag leer vor ihr lag, überkam sie ein wunderbares Gefühl. Während sie ihre Einkäufe auspackte, überlegte sie, was sie mit ihrer Zeit anstellen sollte. Vielleicht den Hügel zum Royal Observatory hinaufsteigen, um sich ein bisschen in die
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