Die Kastratin
ihren Lohn. Wir gemeinen Sterblichen aber müssen warten, bis der Herr uns zu sich ruft. Im Paradies wirst du dereinst vor Gisiberto Corrabialli keinen Bückling mehr machen müssen, sondern er wird dich an seine Brust ziehen und dich seinen Bruder nennen.«
Pater Lorenzo hatte die Hände vor der Brust gefaltet und sprach voller Inbrunst, während er seinen Blick zum Himmel erhob. Fassi konnte dieser Vision jedoch keinen Glauben schenken. Graf Gisiberto war nicht der Mensch, der ihn wie einen Bruder behandeln würde, auch nicht im Jenseits. Und selbst wenn es so wäre, würde er selbst mit der Mütze in der Hand vor dem Grafen stehen und immer noch vor ihm zittern.
Mühsam schüttelte Fassi diese Vorstellung ab. »Reden wir lieber von anderen Dingen als vom Tod und was danach kommen kann. Wisst Ihr bereits, welche Gäste zum Fest des heiligen Ippolito erwartet werden?«
»Soviel ich gehört habe, wird es ein illustrer Kreis sein. Kardinal Pietro Francesco Ferreri hat sein Erscheinen ebenso angekündigt wie Ippolito Farnese und Ippolito della Rovere, der Neffe des Herzogs von Urbino. Beide stehen übrigens bei Seiner Heiligkeit im höchsten Ansehen und werden sicher bald mit dem Purpur der Kardinäle ausgezeichnet. Ihre Familien besitzen ja Geld genug, um ihnen diese Würden kaufen zu können.«
In Pater Lorenzos Stimme schwang ein gewisser Ärger darüber, dass ausgerechnet jene kirchlichen Würdenträger, die besonders dazu berufen waren, Gottes Wort zu bewahren, ihre Titel für Geld kaufen konnten, anstatt sich durch Leistung und Hingabe hochzudienen.
Fassi achtete nicht auf den Stimmungsumschwung des Paters, sondern begleitete die Aufzählung der Würdenträger mit weiteren Seufzern und wiederholte mehrmals seine Hoffnung, Ludovico möge sie nicht blamieren. Unterdessen hatten sie das Ende des Klostergartens erreicht und wollten schon umkehren. Da erscholl im Olivenhain eine klare, reine Stimme, die eben den schwierigsten Teil des Soloparts der Messe sang.
Pater Lorenzo blieb stehen, hielt die Hand ans Ohr und lauschte einen Moment. »Ludovico hat sich unsere Kritik von vorhin wohl zu Herzen genommen und übt jetzt für sich allein. Wenn er am Festtag so singt wie eben, können wir uns beide gratulieren, Meister Girolamo.« Fassi wurde mit einem Mal so bleich wie ein Leintuch, denn er hatte Giulias Stimme erkannt. Am liebsten wäre er zu ihr gelaufen, um sie zum Schweigen zu bringen, musste jedoch vermeiden, dass der Pater begriff, dass es nicht Ludovico war, der da sang.
Mit einem missglückten Auflachen drehte er sich um und wollte zum Kloster zurückkehren. »Ich schlage vor, den Sänger in Ruhe üben lassen. Außerdem muss ich nach Hause.«
Pater Lorenzo hielt ihn fest. »Aber nicht doch. Wenn wir den Hügel hinabgehen und Ihr die Stadt durch das untere Tor betretet, habt Ihr einen kürzeren Weg, als wenn Ihr über das Kloster nach Hause zurückkehrt.« Mit diesen Worten öffnete er die kleine Pforte, die den Garten vom Olivenhain trennte, und winkte Fassi energisch, ihm zu folgen.
Giulias Vater suchte verzweifelt nach einem Ausweg, doch es war schon zu spät. Der Pater lief in einer für einen Ordensmann fast unschicklichen Eile in den Olivenhain hinab, blieb unten stehen und lauschte erneut, um herauszufinden, wo sich der Sänger aufhielt. Schließlich deutete er mit dem Zeigefinger auf ein Gebüsch und näherte sich ihm dann auf Zehenspitzen. Als er Giulia entdeckte, die sich hingebungsvoll auf ihren Gesang konzentrierte, blieb er stocksteif stehen. »Potz Blitz. Das ist doch Eure Tochter, Meister Girolamo. Wie kann das sein? Das grenzt ja an Hexerei!«
Giulia brach mitten im Wort ab, schrie auf und starrte den Pater entsetzt an. Dann rannte sie davon, als wäre der Teufel mit allen Höllendämonen hinter ihr her. Nach wenigen Schritten hatte ihr Vater sie eingeholt.
Er hielt sie fest, gab ihr einige schallende Ohrfeigen und schüttelte sie wütend durch. »Wie oft habe ich dir schon verboten, ins Kloster zu gehen und den Chor zu belauschen. Aber auf diesem Ohr bist du wohl taub!«
Giulia hatte das Gefühl, die Schläge würden ihr gleich den Kopf von den Schultern reißen. Wie eine Welle breitete sich der Schmerz von ihrer Wange über den ganzen Körper aus und kroch bis in ihre Fingerspitzen und Zehen. »Ich war doch nicht im Kloster«, würgte sie mühsam hervor. »Nur im Garten.«
Ihr Vater kommentierte diese Aussage mit der nächsten Ohrfeige. »Das ist gelogen. Man kann die Chorknaben im
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