Die Kastratin
Hütte geschleppt, ausgezogen und ihn erst freigegeben, wenn sich der schmerzhafte Drang seiner Lenden entladen hätte. So aber musste er diesen Augenblick auf später verschieben. Er berührte nur kurz Giulios Nacken mit seinen Lippen und spürte, wie der Körper seines Freundes erschauderte. »Jetzt wirst du mir nicht mehr entkommen«, flüsterte er ihm ins Ohr. »Vielleicht will ich es auch gar nicht«, antwortete Giulia leise. Dabei wusste sie überhaupt nicht, was sie wollte. Die Stelle im Nacken, an der Vincenzo sie geküsst hatte, brannte wie Feuer. Es war jedoch nicht unangenehm, ebenso wenig wie der feste Griff seiner Arme. Irgendwie berauschte seine Nähe sie. War dies Liebe, fragte sie sich, oder forderte nur ihre lange geknechtete Weiblichkeit ihr Recht?
Der Ritt führte über bewaldete Hügel in ein Tal, an dessen Ende ein kleiner Bauernhof lag. Dort stand ein großer, alter Reise-wagen mit einem kaum noch zu erkennenden Wappen auf der Tür. Zu Giulias Verwunderung näherten sich die Räuber dem Gebäude ohne jede Vorsicht. Als sie ankamen, steckte ein Mann den Kopf heraus und grinste sie an. »Ich habe alles fertig, Hauptmann, genau so, wie du es befohlen hast.«
Tomasi nickte zufrieden und winkte seine Begleiter nach vorne. »Spannt den Wagen an. Sobald Benedetto hier ist, fahren wir los.« Darauf wandte er sich Giulia und deren Begleitung zu. »Wir werden noch einige Tage zusammenbleiben und uns als Landadlige aus Savoyen ausgeben, die nach einem Besuch in Rom nach Hause unterwegs sind. Sobald wir das Patrominium Petri hinter uns gelassen haben, könnt ihr eurer eigenen Wege gehen.«
Giulia und Vincenzo sahen sich etwas beklommen an. Beiden war es unangenehm, noch länger bei den Räubern bleiben zu müssen. Sie hatten allerdings keine andere Wahl, als sich zu fügen. Und Tomasis Taktik zeigte Erfolg. Als sie nach der Rückkehr Benedettos und dessen Begleitern aufbrachen, gönnten ihnen die päpstlichen Patrouillen, auf die sie unterwegs trafen, nur einen beiläufigen Blick. Sie konnten nicht ahnen, dass Francesco della Rocca das Wissen um Giulias wahres Geschlecht für sich behalten hatte und nur nach einigen Räubern fahnden ließ, die den Kastraten Giulio Casamonte entführt haben sollten. Ludovicos Tod nahm der Bischof eher mit Erleichterung zur Kenntnis, denn es war seiner Karriere in jedem Fall förderlicher, wenn gewisse Dinge unter dem Deckel gehalten wurden.
XI .
A n einer Weggabelung kurz vor Piombino trennten sich die Räuber von Giulia, Assumpta und Vincenzo. Tomasi wollte zum Hafen reiten, um ein Schiff nach Genua zu nehmen, da er sich dort sein Geld auszahlen lassen konnte. Wie Giulia aus beiläufigen Gesprächen seiner Begleiter erfahren hatte, plante er, mit dem Rest seiner Bande in die spanischen Besitzungen in Amerika zu ziehen und dort als Großgrundbesitzer zu leben. Sie war froh, als sie die Räuber endlich in einer Staubwolke verschwinden sah, denn bis zum letzten Augenblick hatte sie in der Angst gelebt, von ihnen als Frau erkannt und vergewaltigt zu werden. Zu ihrer Erleichterung hatte Tomasi auch darauf verzichtet, ihre Koffer zu durchwühlen, so dass der Beutel, den sie von dem alten Grafen bekommen hatte, immer noch unangetastet in seinem Fach lag.
Auch Vincenzo atmete nach dem recht förmlich ausgefallenen Abschied der Räuber sichtlich auf. Sie hatten ihnen den Reisewagen und sogar einen Teil des Proviants zurückgelassen. Vincenzo kletterte widerwillig auf den Bock und schlug Giulia vor, die schwere Kalesche in der nächsten Stadt gegen ein leichteres Gefährt einzutauschen, da es auffallen würde, wenn ein Mann von Stand selbst den Kutscher spielte.
Giulia stimmte zu und merkte an Vincenzos bedrückter Miene, dass er noch etwas anderes auf dem Herzen hatte. »Was ist los? Gibt es Schwierigkeiten? Wir haben allen Grund zur Freude, und du ziehst ein Gesicht, als wäre deine Mutter gestorben.«
Vincenzo stieg ab und blieb mit hängenden Schultern vor ihr stehen. »Ich wollte es dir schon unterwegs sagen, aber ich mochte dich nicht noch dem Spott der Räuber aussetzen. Tomasi hat dich nicht ohne Gegenleistung befreit. Ich musste ihnen zuerst das ganze Geld geben, das du zu deinem Bankier in Rom geschickt hattest.«
Assumpta hatte neugierig zugehört und klatschte nun begeistert in die Hände. »Das war wirklich gut angelegtes Geld! Was sind schon ein paar Dukaten gegen all das Schreckliche, was die Kerkermeister der Inquisition unserer … unserem lieben Giulio
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