Die Kathedrale des Meeres
einen Moment auf ihrer Wange ruhen. Dann stand sie auf.
»So hört mich doch an!«
Aledis sah zu der Gestalt hinüber.
»Geh nicht zu ihm«, bat sie Francesca, die am Boden saß.
»Kommt her! Ich bitte Euch.«
»Du würdest schwach werden, Aledis. Du hast es mir versprochen.«
Arnau und Aledis sahen sich im Dunkeln an, zwei undeutliche Schemen. Tränen glitzerten auf Aledis' Gesicht.
Als Arnau sah, wie die Unbekannte zum Ausgang des Kerkers ging, ließ er sich zu Boden sinken.
Am selben Morgen ritt eine Frau auf einem Maulesel durch das Stadttor San Daniel nach Barcelona hinein. Hinter ihr schleppte sich mit müden Schritten ein Dominikanermönch vorwärts, der keinen Blick für die Soldaten hatte. Schweigend gingen sie durch die Stadt zum Bischofspalast, der Mönch immer hinter dem Maultier her.
»Bruder Joan?«, fragte einer der Soldaten, die am Eingang Wache hielten.
Der Dominikaner wandte dem Soldaten sein blaugeschwollenes Gesicht zu.
»Bruder Joan?«, fragte der Soldat noch einmal.
Joan nickte.
»Der Generalinquisitor hat angeordnet, Euch zu ihm zu bringen.«
Der Soldat rief nach der Wache, und mehrere seiner Kameraden kamen herbeigeeilt, um Joan in Gewahrsam zu nehmen.
Die Frau stieg nicht von ihrem Maulesel ab.
52
Sahat stürzte in das Lagerhaus des alten Händlers in Pisa, ganz in der Nähe des Hafens am Arno. Mehrere Angestellte und Lehrburschen grüßten ihn, doch der Maure hörte nicht hin. »Wo ist euer Herr?«, fragte er jeden, während er unruhig zwischen den zahllosen Waren auf und ab lief, die sich in dem riesigen Lagerhaus stapelten. Schließlich fand er den Gesuchten am anderen Ende des Raumes, über einige Stoffballen gebeugt.
»Was gibt es, Filippo?«, fragte er ihn.
Der alte Händler richtete sich mühsam auf und sah Sahat an.
»Gestern lief ein Schiff auf dem Weg nach Marseille ein.«
»Ich weiß. Ist etwas vorgefallen?«
Filippo betrachtete Sahat. Wie alt er wohl war? Jung war er jedenfalls nicht mehr. Er war wie stets gut gekleidet, jedoch nicht protzig wie so viele andere, die weniger reich waren als er. Was mochte zwischen ihm und Arnau vorgefallen sein? Er hatte es ihm nie erzählen wollen. Filippo erinnerte sich, wie der Sklave damals aus Katalonien gekommen war, an den Freilassungsbrief, an Arnaus Zahlungsanweisung.
»Filippo!«
Sahats Stimme rief ihn in die Gegenwart zurück. Der Maure besaß noch immer den Schwung eines jungen Mannes. Alles ging er mit großer Entschlossenheit an.
»Filippo, bitte!«
»Gewiss, gewiss. Du hast recht. Entschuldige.« Der alte Mann trat zu ihm und stützte sich auf seinen Arm. »Du hast recht, du hast recht. Hilf mir. Gehen wir in mein Büro.«
In der Welt der Händler von Pisa gab es nur wenige Menschen, von denen Filippo Tescio sich helfen ließ. Dieser öffentliche Vertrauensbeweis des betagten Mannes konnte mehr Türen öffnen als Tausende von Goldflorins. Diesmal jedoch blieb Sahat stehen und hinderte den reichen Händler am Weitergehen.
»Filippo, bitte!«
Der alte Mann zog ihn sanft weiter.
»Es gibt Nachrichten … schlechte Nachrichten. Es geht um Arnau.« Er ließ dem Mauren Zeit, sich auf das einzustellen, was nun kam. »Er wurde von der Inquisition festgenommen.«
Sahat schwieg.
»Die Gründe sind recht unklar«, fuhr Filippo fort. »Seine Angestellten haben damit begonnen, Warenlieferungen zu verkaufen. So wie es aussieht, ist seine Lage ziemlich düster … Doch das sind vermutlich nur bösartige Gerüchte. Setz dich«, bat er ihn, als sie das ›Büro‹ des alten Händlers erreichten. Es handelte sich um einen schmucklosen Tisch auf einem Podest, von wo aus er die drei Angestellten beaufsichtigte, die an ähnlichen Tischen die Transaktionen in riesige Rechnungsbücher eintrugen, während er gleichzeitig das stete Kommen und Gehen im Lagerhaus im Auge hatte.
Filippo nahm Platz und seufzte.
»Das ist noch nicht alles«, setzte er hinzu. Sahat saß ihm wie versteinert gegenüber. »An Ostern haben sich die Bürger Barcelonas gegen das Judenviertel erhoben. Sie beschuldigten die Juden, eine Hostie geschändet zu haben. Die Sache endete mit einer hohen Geldstrafe und drei Hingerichteten …« Filippo sah, wie Sahats Unterlippe zu zittern begann. »Darunter war Hasdai.«
Der alte Mann sah weg und überließ Sahat für einen Moment seinen Gefühlen. Als er sich ihm wieder zuwandte, sah er, dass seine Lippen fest aufeinandergepresst waren. Sahat zog die Nase hoch und fuhr sich mit der Hand über die
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