Die Kathedrale des Meeres
auf weißem Grund. Hinter ihm erschien, ebenfalls zum Kampf gerüstet, ein weiterer Mann, der das Banner der Stadt trug. Die beiden Männer gingen zur Mitte des Platzes bis zu dem Stein, der die Stadt in Viertel aufteilte. Dort angekommen, erhoben sie die Banner von Sant Jordi und Barcelona und riefen wie aus einem Munde: »Via fora! Via fora!«
Die Glocken läuteten noch immer und das ›Via fora‹ wurde von den Bürgern durch alle Straßen der Stadt getragen.
Joanet, der das Schauspiel mit ehrfürchtigem Schweigen verfolgt hatte, brach in ein ohrenbetäubendes Geschrei aus.
Endlich schien Estranya zu reagieren und zog Arnau weiter. Doch der Junge riss sich von der Hand der Mulattin los, wie gebannt von den beiden Männern, die in ihren schimmernden Harnischen und mit ihren Schwertern reglos mitten auf dem Platz standen und die bunten Banner hochhielten.
»Wir gehen, Arnau«, befahl ihm Estranya.
»Nein«, widersetzte sich dieser, angestachelt von Joanet.
»Los, komm schon. Das hier geht uns nichts an.«
»Was sagst du da, Sklavin?« Die Worte kamen von einer Frau, die genauso gebannt wie die Kinder gemeinsam mit anderen Frauen die Ereignisse beobachtete und den Wortwechsel zwischen Arnau und der Mulattin mit angehört hatte. »Ist der Junge ein Sklave?« Estranya schüttelte den Kopf. »Er ist also ein Bürger der Stadt?« Arnau nickte. »Wie kannst du es dann wagen, zu behaupten, das ›Via fora‹ gehe den Jungen nichts an?«
Estranya zögerte.
»Wer bist du, Sklavin«, fragte sie eine andere Frau, »dass du dem Jungen die Ehre verweigerst, die Rechte Barcelonas zu verteidigen?«
Estranya senkte den Kopf. Was würde ihr Herr sagen, wenn er davon erfuhr? Er hielt so große Stücke auf die Ehre der Stadt. Die Glocken läuteten noch immer. Joanet war zu den Frauen getreten und forderte Arnau auf, sich ihm anzuschließen.
»Frauen dürfen nicht mit dem Bürgerheer ziehen«, rief die erste Frau Estranya in Erinnerung.
»Und Sklaven erst recht nicht«, setzte eine andere hinzu.
»Wer, glaubst du, soll sich um unsere Männer kümmern, wenn nicht solche Jungen wie diese beiden?«
Estranya wagte es nicht, den Blick zu heben.
»Wer soll ihnen das Essen kochen, Botengänge erledigen, ihnen die Stiefel putzen oder die Armbrüste säubern?«
»Geh dorthin, wo du hingehörst«, rieten sie ihr. »Sklaven haben hier nichts verloren.«
Estranya nahm die Taschen, die bislang Arnau getragen hatte, und machte sich davon. Joanet lächelte erfreut und sah die Frauen bewundernd an. Arnau stand immer noch an derselben Stelle.
»Lauft schon, Jungs«, forderten die Frauen sie auf, »und kümmert euch um unsere Männer.«
»Und sag meinem Vater Bescheid!«, rief Arnau Estranya hinterher, die erst drei oder vier Meter weit gekommen war.
Joanet merkte, dass Arnau der Sklavin, die sich mühsam vorwärtsschleppte, unverwandt hinterhersah, und erriet seine Zweifel.
»Hast du nicht gehört, was die Frauen gesagt haben?«, erklärte er. »Wir sollen uns um die Soldaten von Barcelona kümmern. Dein Vater wird das verstehen.«
Arnau nickte, zuerst zögerlich, dann immer heftiger. Natürlich würde er das verstehen! Schließlich hatte er doch so dafür gekämpft, dass sie Bürger von Barcelona wurden.
Als sie wieder auf den Platz sahen, stellten sie fest, dass sich zu den beiden ersten Bannern ein drittes gesellt hatte: das Banner der Händler. Der Bannerträger trug keine Rüstung, aber er hatte eine Armbrust auf dem Rücken und ein Schwert am Gürtel. Wenig später kam ein weiteres Banner hinzu, das Banner der Silberschmiede, und nach und nach füllte sich der Platz mit bunten Fahnen, auf denen allerlei Symbole und Figuren zu sehen waren: das Banner der Gerber, der Chirurgen und Barbiere, der Zimmerleute, Kupferschmiede, Töpfer …
Unter den Bannern sammelten sich, nach Berufen geordnet, die freien Bürger der Stadt Barcelona. Alle waren, wie es das Gesetz verlangte, mit einer Armbrust, einem Köcher mit hundert Pfeilen sowie einem Schwert oder einer Lanze bewaffnet. Binnen zweier Stunden war das Bürgerheer Barcelonas bereit auszuziehen, um die Privilegien der Stadt zu verteidigen.
In diesen zwei Stunden erfuhr Arnau, was das alles zu bedeuten hatte. Joanet erklärte es ihm.
»Barcelona verteidigt sich nicht nur, wenn es nötig ist«, sagte er, »wir greifen auch jeden an, der sich uns gegenüber zu viel herausnimmt.« Der kleine Bursche überschlug sich fast, während er auf die Soldaten und die Banner deutete und
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