Die Kathedrale des Meeres
Platz einnahm.
Von oben gab Berenguer seine Anweisungen, die ein weiterer Meister, der auf einem niedrigeren Gerüst stand, an die Männer weitergab. Als der Schlussstein das letzte Gerüst erreichte, entspannten sich so manche fest zusammengepresste Lippen zu einem Lächeln. Doch dies war der schwierigste Moment. Berenguer hatte genau berechnet, wo der Schlussstein platziert werden musste, damit er exakt in die Rippen eingepasst werden konnte. Tagelang hatte er mit Seilen und Pflöcken den Raum zwischen den zehn Pfeilern vermessen, hatte mit dem Senkblei auf den Gerüsten gestanden und immer neue Schnüre von den in die Erde gesteckten Pflöcken zu den Gerüsten hinaufgezogen. Tagelang hatte er Zahlen auf Pergamente gekritzelt, sie wieder ausradiert und neu beschrieben. Wenn der Schlussstein nicht exakt an der richtigen Stelle lag, würden die Bögen dem Schub nicht standhalten, und das Gewölbe könnte einstürzen.
Nach Tausenden von Berechnungen und unendlich vielen Skizzen hatte er schließlich die exakte Stelle auf den Planken des obersten Gerüsts angezeichnet. Dort musste der Schlussstein liegen, keine Handbreit weiter rechts oder links. Die Männer wurden ungeduldig, als Berenguer de Montagut, anders als auf den anderen Ebenen, nicht zuließ, dass sie den Stein auf die Planken absenkten, und immer neue Anweisungen gab.
»Noch ein Stückchen, Santa María. Nein! Zieht, Santa Clara. Jetzt wartet. Santa Eulàlia! Santa Clara! Santa María! Weiter nach oben! Nach unten! Jetzt!«, rief er plötzlich. »Halt! Nach unten! Stück für Stück! Ganz langsam!«
Plötzlich war keine Spannung mehr auf den Seilen. Schweigend sahen alle nach oben, wo Berenguer de Montagut sich bückte, um die Lage des Schlusssteins zu prüfen. Er ging um den Stein herum, der zwei Meter im Durchmesser maß, dann richtete er sich auf und winkte nach unten.
An die Mauer der alten Kirche gelehnt, glaubten Arnau und Joanet den Widerhall des Jubelgeschreis zu spüren, der aus den Kehlen der Männer kam, die seit Stunden an den Seilen gezogen hatten. Einige umarmten sich und vollführten Luftsprünge vor Freude. Die Hunderte von Zuschauern, die das Schauspiel verfolgt hatten, johlten und applaudierten. Arnau hatte einen Kloß im Hals und eine Gänsehaut.
»Ich wäre so gerne schon älter«, flüsterte Arnau an diesem Abend seinem Vater zu, als sie nebeneinander auf dem Strohsack lagen. Ringsum war das Husten und Schnarchen der Sklaven und Lehrlinge zu hören.
Bernat versuchte zu ergründen, woher dieser Wunsch rührte. Arnau war glückstrahlend nach Hause gekommen und hatte tausendmal erzählt, wie sie den Schlussstein der Apsis von Santa María an seinen Platz gebracht hatten. Selbst Jaume hatte gebannt zugehört.
»Warum denn das, mein Junge?«
»Alle haben eine Aufgabe. In Santa María sind viele Jungen, die ihren Vätern oder Lehrmeistern zur Hand gehen. Joanet und ich hingegen …«
Bernat legte den Arm um die Schultern des Jungen und zog ihn an sich. Tatsächlich lungerte Arnau jeden Tag dort herum, außer wenn man ihm hin und wieder einen Auftrag erteilte. Was also konnte er Sinnvolles tun?
»Du magst doch die Bastaixos, nicht wahr?«
Bernat hatte die Begeisterung bemerkt, mit der sein Sohn ihm von diesen Männern erzählte, die die Steine zur Kirche schleppten. Die Jungen folgten ihnen bis vor die Tore der Stadt, um dort auf sie zu warten und dann mit ihnen am Strand entlang zurückzugehen, von Framenors bis zur Kirche Santa María.
»Ja«, antwortete Arnau, während sein Vater etwas unter der Matratze hervorholte.
»Hier, nimm«, sagte er und überreichte ihm den alten Wasserschlauch, der sie auf ihrer Flucht begleitet hatte. »Biete ihnen kühles Wasser an. Du wirst sehen, sie werden es nicht zurückweisen und dir dankbar dafür sein.«
Am nächsten Morgen wartete Joanet wie immer in aller Frühe vor Graus Werkstatt auf ihn. Arnau zeigte ihm den Schlauch. Dann hängte er ihn sich um den Hals und sie liefen zum Strand hinunter, zum Angel-Brunnen am Markt Los Encantes. Es war der einzige Brunnen, der am Weg der Bastaixos lag. Der nächste befand sich bereits bei der Kirche Santa María.
Als die Jungen die Schlange der Bastaixos, die gebückt unter der Last der Steine liefen, langsam herannahen sahen, kletterten sie auf eines der Boote, das am Strand lag. Arnau hielt dem ersten Bastaix den Schlauch hin. Der Mann lächelte und blieb neben dem Boot stehen, damit ihm Arnau einen Strahl Wasser direkt in den Mund spritzen
Weitere Kostenlose Bücher