Die Kathedrale des Meeres
ihren Leuten. Das ganze Heer konnte sehen, wie sich drei Gesandte Barcelonas dem Ort Creixell näherten, während die gleiche Anzahl Männer die Burg verließ. Sie trafen sich in der Mitte.
Wie alle Barcelonesen beobachteten Arnau und Joanet die Unterhändler schweigend.
Es kam nicht zum Kampf. Dem Herrn von Creixell war hinter dem Rücken des Heeres die Flucht durch einen Geheimgang geglückt, der von der Burg zum Meer herunterführte. Der Dorfschulze gab angesichts der zum Kampf formierten Bürgerschaft Barcelonas den Befehl, sich den Forderungen der gräflichen Stadt zu beugen. Seine Mitbürger gaben das Vieh zurück, ließen den Schäfer frei, akzeptierten die Zahlung einer satten Entschädigung und verpflichteten sich, zukünftig die Privilegien der Stadt zu achten. Dann lieferten sie zwei ihrer Einwohner aus, denen sie die Schuld an dem Streit gaben. Diese wurden augenblicklich verhaftet.
»Creixell hat sich ergeben«, teilten die Ratsherren dem Heer mit.
Ein Raunen ging durch die Reihen. Die verhinderten Soldaten steckten ihre Schwerter zurück in die Scheiden, senkten die Armbrüste und Lanzen und legten die Rüstungen ab. Überall war Lachen, Rufen und Scherzen zu hören.
»Her mit dem Wein, Jungs!«, forderte Ramon sie auf. »Was ist denn mit euch los?«, fragte er, als sie sich nicht von der Stelle rührten. »Ihr hättet wohl gerne einen Kampf gesehen, stimmt's?«
Die Gesichter der Jungen waren Antwort genug.
»Jeder von uns hätte verwundet werden oder gar sterben können. Hätte euch das gefallen?« Arnau und Joanet schüttelten rasch den Kopf. »Ihr solltet es anders sehen: Ihr gehört zu der größten und mächtigsten Stadt des Prinzipats, und alle haben Angst, sich mit uns anzulegen.« Arnau und Joanet hörten Ramon mit großen Augen zu. »Jetzt geht und holt den Wein, Jungs. Auch ihr sollt auf diesen Sieg anstoßen.«
Das Banner von Sant Jordi kehrte ehrenvoll nach Barcelona zurück und mit ihm die beiden Jungen, die voller Stolz waren auf ihre Stadt, ihre Mitbürger und darauf, Barcelonesen zu sein. Die Gefangenen aus Creixell wurden in Ketten durch die Straßen Barcelonas geführt. Die Frauen und alle, die sich dort drängten, ließen das Heer hochleben und spien vor den Gefangenen aus. Arnau und Joanet begleiteten den Zug auf seinem ganzen Weg, voller Ernst und Stolz, und so traten sie auch vor Bernat, nachdem die Gefangenen schließlich in den Palast des Stadtrichters gebracht worden waren. Erleichtert, seinen Sohn gesund und munter wiederzusehen, vergaß Bernat die Standpauke, die er den Jungen hatte halten wollen, und lauschte lächelnd ihren Erzählungen.
12
Seit dem Abenteuer, das sie nach Creixell geführt hatte, waren bereits einige Monate vergangen, doch an Arnaus Leben hatte sich in dieser Zeit wenig geändert. Bis er zehn Jahre alt werden und als Lehrling in Graus Werkstatt anfangen würde, streifte er weiterhin mit Joanet durch das wunderbare, stets überraschende Barcelona. Er gab den Bastaixos zu trinken, und vor allem hatte er seine Freude an Santa María del Mar. Er sah den Bau voranschreiten und betete zur Jungfrau, erzählte ihr von seinen Sorgen und Nöten, während er sich an dem Lächeln erfreute, das er auf den Lippen der steinernen Figur zu erkennen glaubte.
Wie ihm Pater Albert erzählt hatte, wurde die Jungfrau nach der Entfernung des Altars der romanischen Kirche in die kleine Sakramentskapelle gebracht. Diese befand sich zwischen zwei Strebepfeilern im Chorumgang hinter dem neuen Hauptaltar von Santa María und war mit einem hohen, schweren Eisengitter versehen. Die Bastaixos waren die einzigen Stifter der Kapelle; es war ihre Aufgabe, sich um die Kapelle zu kümmern, sie zu bewachen, für Ordnung zu sorgen und darauf zu achten, dass die Kerzen nie verloschen. Dies war ihre Kapelle, die wichtigste der Kirche, in welcher der Leib Christi aufbewahrt wurde, und dennoch hatte die Pfarrei sie den einfachen Lastenträgern überlassen. Viele Adlige und reiche Händler würden gutes Geld dafür zahlen, als Stifter und Wohltäter der übrigen dreiunddreißig Kapellen aufzutreten, die zwischen den Strebepfeilern im Chorumgang oder in den Seitenschiffen von Santa María del Mar errichtet werden sollten, erklärte ihnen Pater Albert. Doch diese, die Sakramentskapelle, gehörte den Bastaixos, und der junge Wasserträger konnte stets problemlos zu seiner Jungfrau.
Eines Morgens war Bernat gerade dabei, seine Habseligkeiten unter die Matratze zu räumen, wo er die Börse
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