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Die Kathedrale des Meeres

Titel: Die Kathedrale des Meeres Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Falcones Ildefonso
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sagte er.
    Einer der Soldaten warf ihm einen kurzen Blick zu.
    Er ging über die Plaza del Blat bis zur Einmündung der Calle de la Mar. Dort wartete er eine Weile, während er sich fragte, wo Joan steckte. Es war die vereinbarte Zeit, er hätte bereits da sein müssen. Arnau stieß einen Pfiff aus. Ringsum blieb es still.
    »Joan?«, wagte er zu rufen.
    Aus einem Hauseingang löste sich ein Schatten.
    »Arnau?«, war in der Dunkelheit zu hören.
    »Natürlich bin ich das.« Joans erleichterter Seufzer war über mehrere Meter zu hören. »Was dachtest du, wer ich bin? Warum hast du nicht geantwortet?«
    »Es ist stockfinster«, entgegnete Joan.
    »Hast du die Decke dabei?« Der Schatten hob ein Bündel hoch. »Gut. Ich habe ihnen gesagt, dass ich eine Decke holen gehe. Jetzt leg sie dir um und nimm meinen Platz ein. Geh auf Zehenspitzen, damit du größer aussiehst.«
    »Was hast du vor?«
    »Ich werde ihn verbrennen«, antwortete er, als Joan neben ihm stand. »Ich will, dass du meinen Platz einnimmst. Die Soldaten sollen glauben, dass ich es bin. Du brauchst dich nur dorthin zu setzen, wo ich gesessen habe, nichts weiter. Verhülle einfach dein Gesicht. Und rühr dich nicht von der Stelle. Du tust nichts, was auch immer du siehst und was auch immer geschieht, hast du verstanden?« Arnau wartete Joans Antwort nicht ab. »Wenn alles vorbei ist, bist du ich. Du bist Arnau Estanyol und dein Vater hatte keinen anderen Sohn. Hast du verstanden? Wenn die Soldaten dich fragen …«
    »Arnau …«
    »Was?«
    »Ich traue mich nicht.«
    »Wie bitte?«
    »Ich traue mich nicht. Sie werden es bemerken. Wenn ich Vater sehe …«
    »Willst du zusehen, wie er dort verwest? Willst du zusehen, wie er vor den Toren der Stadt baumelt, während Krähen und Würmer seinen Körper auffressen?«
    Arnau machte eine Pause, damit sein Bruder sich diese Szenerie vorstellen konnte.
    »Willst du, dass die Baronin unseren Vater weiter verspottet … sogar noch im Tod?«
    »Ist es auch keine Sünde?«, fragte Joan plötzlich.
    Arnau versuchte, seinen Bruder in der Dunkelheit zu erkennen, doch er erahnte nur einen Schatten.
    »Er hatte nur Hunger! Ich weiß nicht, ob es eine Sünde ist, aber ich werde nicht zulassen, dass unser Vater an einem Strick verfault. Wenn du mir helfen willst, dann leg dir diese Decke um und tu weiter gar nichts. Wenn nicht …«
    Arnau lief die Calle de la Mar hinunter, während Joan, in die Decke gehüllt, auf die Plaza del Blat ging. Er hatte den Blick fest auf Bernat gerichtet, eines von zehn Gespenstern, die auf den Karren baumelten, schwach beleuchtet vom Widerschein des Feuers, um das die Soldaten saßen. Joan wollte sein Gesicht nicht sehen, seine heraushängende, schwarz verfärbte Zunge, doch seine Augen gehorchten seinem Willen nicht, und so ging er weiter, den Blick starr auf Bernat gerichtet. Die Soldaten beobachteten ihn, während er näher kam. Unterdessen lief Arnau zu Peres Haus. Er nahm seinen Wasserschlauch und schüttete das Wasser aus, dann füllte er Lampenöl hinein. Pere und seine Frau, die am Feuer saßen, sahen ihm zu.
    »Mich gibt es nicht«, sagte Arnau mit versagender Stimme zu ihnen. Er kniete vor ihnen nieder und ergriff die Hand der alten Frau, die ihn liebevoll ansah. »Joan wird ich sein. Mein Vater hatte nur einen Sohn. Kümmert euch um ihn, wenn etwas passiert.«
    »Aber Arnau …«, begann Pere.
    »Psst«, wisperte Arnau.
    »Was hast du vor, Junge?«, wollte der Alte wissen.
    »Ich muss es tun«, entgegnete Arnau und stand auf.
    Es gibt mich nicht. Ich bin Arnau Estanyol. Die Soldaten beobachteten Joan immer noch. Einen Toten zu verbrennen musste eine Sünde sein, dachte er. Bernat sah ihn an! Joan blieb einige Meter vor dem Gehenkten stehen. Er sah ihn an!
    »Ist etwas, Junge?« Einer der Soldaten machte Anstalten, aufzustehen.
    »Nein, nichts«, antwortete Joan, bevor er weiter auf die Augen des Toten zuging, die ihn fragend ansahen.
    Arnau nahm eine Lampe und verließ das Haus. Unterwegs rieb er sich das Gesicht mit Schlamm ein. Sein Vater hatte ihm so oft von ihrer Ankunft in dieser Stadt erzählt, die ihn nun getötet hatte. Auch er hatte sich damals Schlamm ins Gesicht reiben müssen, um am Stadttor nicht erkannt zu werden. Arnau ging um die Plaza del Blat herum, über die Plaza de la Llet und die Plaza de la Corretgeria, bis er die Calle Tapineria erreichte. Dann stand er vor den aufgereihten Karren mit den Gehängten. Joan saß zu Füßen seines Vaters und versuchte das

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