Die Kathedrale des Meeres
verräterische Zittern zu unterdrücken.
Arnau ließ die Lampe in der Straße stehen, warf sich den Schlauch über den Rücken und schlich zur Rückseite der Karren, die direkt an der Mauer des stadtrichterlichen Palasts standen. Bernat befand sich auf dem vierten Karren. Die Soldaten saßen immer noch schwatzend um das Feuer am anderen Ende der Reihe. Arnau kroch hinter die ersten Karren. Als er den zweiten erreichte, wurde eine Frau auf ihn aufmerksam. Ihre Augen waren vom Weinen verquollen. Arnau erstarrte, doch die Frau wandte den Blick ab und gab sich weiter ihrem Schmerz hin. Der Junge kletterte auf den Karren, auf dem sein Vater baumelte. Joan hörte ihn und drehte sich um.
»Schau nicht hin!« Sein Bruder hörte auf, in die Dunkelheit zu spähen. »Und versuch, nicht so zu zittern«, raunte Arnau ihm zu.
Er richtete sich auf, um Bernats Körper zu erreichen, doch ein Geräusch zwang ihn, sich wieder hinzulegen. Er wartete einige Sekunden und unternahm einen weiteren Versuch. Erneut ließ ihn ein Geräusch zusammenzucken, doch diesmal blieb Arnau stehen. Die Soldaten schwatzten immer noch. Arnau hob den Schlauch hoch und begann, das Öl über den Leichnam seines Vaters zu gießen. Der Kopf war ziemlich hoch, also reckte er sich, so gut er konnte, und presste den Schlauch fest zusammen, damit das Öl herausspritzte. Ein zähflüssiger Strahl begann Bernats Haar zu verkleben. Als das Öl aufgebraucht war, schlich Arnau in die Calle Tapineria zurück.
Er hatte nur einen einzigen Versuch. Arnau hielt die Lampe hinter seinen Rücken, um den schwachen Lichtschein zu verbergen. »Ich muss beim ersten Mal treffen.« Er sah zu den Soldaten hinüber. Nun war er es, der zitterte. Er atmete tief ein und betrat dann den Platz. Bernat und Joan waren etwa zehn Meter von ihm entfernt. Er drehte die Flamme hoch und trat aus dem Verborgenen hervor. Die Lampe in der Hand, kam es ihm vor, als würde es taghell auf der Plaza del Blat. Die Soldaten blickten zu ihm hinüber. Arnau wollte schon losrennen, als er feststellte, dass keiner von ihnen Anstalten machte, sich zu bewegen. »Weshalb sollten sie auch? Woher sollen sie wissen, dass ich meinen Vater verbrennen will? Meinen Vater verbrennen!« Die Lampe in seiner Hand zitterte. Beobachtet von den Soldaten, erreichte er Joan. Niemand unternahm etwas. Arnau blieb vor dem Leichnam seines Vaters stehen und betrachtete ihn ein letztes Mal. Das glänzende Öl auf seinem Gesicht verbarg die Angst und den Schmerz, der zuvor in ihm zu erkennen gewesen war.
Arnau schleuderte die Lampe auf den Leichnam, und Bernat fing Feuer. Die Soldaten sprangen auf, sahen die Flammen und rannten hinter Arnau her. Die Scherben der Lampe fielen auf den Karren, auf dem sich das Öl gesammelt hatte, das von Bernats Körper herabgetropft war, und auch dieser ging in Flammen auf.
»Stehen bleiben!«, hörte er die Soldaten rufen.
Arnau wollte loslaufen, als er sah, dass Joan immer noch vor dem Karren saß. Er war vollständig von der Decke bedeckt und wirkte wie paralysiert. Die übrigen Trauernden betrachteten stumm die Flammen, in ihrem eigenen Schmerz versunken.
»Halt! Halt, im Namen des Königs!«
»Beweg dich, Joan.« Arnau wandte sich zu den Soldaten um, die jetzt auf ihn zugerannt kamen. »Beweg dich! Du wirst verbrennen!«
Er konnte Joan nicht dort lassen. Das Öl, das auf den Boden getropft war, kam der zitternden Gestalt seines Bruders immer näher. Arnau wollte ihn wegziehen, als sich die Frau, die ihn zuvor entdeckt hatte, zwischen sie stellte.
»Lauf«, drängte sie ihn.
Arnau schüttelte den ersten Soldaten ab und rannte davon. Verfolgt von den Rufen der Soldaten, lief er durch die Calle Bòria bis zum Portal Nou. Je länger sie ihn verfolgten, desto später würden sie zu seinem Vater zurückkehren, um das Feuer zu löschen, dachte er im Laufen. Die Soldaten, die nicht mehr die Jüngsten waren und ihre Ausrüstung schleppen mussten, würden niemals einen Jungen einholen, dessen Füße förmlich vom Feuer getragen wurden.
»Im Namen des Königs!«, hörte er hinter sich.
Etwas zischte an seinem rechten Ohr vorbei. Arnau konnte hören, wie die Lanze vor ihm auf dem Boden aufschlug. Er sauste über die Plaza de la Llana, während mehrere Lanzen ihr Ziel verfehlten. Dann lief er an der Kapelle Bernat Marcus vorbei bis zur Galle Carders. Die Rufe der Soldaten begannen, sich in der Ferne zu verlieren. Zum Portal Nou konnte er nicht; dort waren mit Sicherheit weitere Soldaten postiert.
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