Die Kathedrale des Meeres
durch, einmal, zweimal, immer wieder. Einen Teil der Last trägt die Jungfrau, auch das hatte ihm Ramon gesagt. Mein Gott! Wenn das stimmte, wie viel wog dann dieser Stein wirklich? Er traute sich nicht, den Rücken zu strecken. Er tat weh, schrecklich weh. Er ruhte sich eine ganze Weile aus. Würde er sich wieder in Bewegung setzen können? Arnau blickte sich um. Er war allein. Nicht einmal die anderen Fuhrleute nahmen diesen Weg, sondern den zum Stadttor Trentaclaus.
Ob es wohl ging? Arnau sah in den Himmel. Er lauschte in die Stille und hob dann mit einem Ruck den Stein wieder an. Seine Füße setzten sich in Bewegung. Erst der eine, dann der andere, erst der eine, dann der andere …
Am Cagalell legte er eine weitere Rast ein, den Stein auf einen Felsvorsprung gestützt. Dort erschienen die ersten Bastaixos, die bereits auf dem Rückweg zum Steinbruch waren. Niemand sagte etwas. Sie sahen sich nur an. Arnau biss die Zähne zusammen und hob den Stein wieder an. Einige Bastaixos nickten ihm aufmunternd zu, doch keiner von ihnen blieb stehen. »Es ist seine Herausforderung«, sagte einer von ihnen, als Arnau ihn nicht mehr hören konnte. Er blickte zurück und sah, wie sich der Stein langsam vorwärtsbewegte. »Er muss alleine zurechtkommen«, pflichtete ein anderer bei.
Als Arnau die westliche Stadtmauer und das Kloster Framenors hinter sich gelassen hatte, begegneten ihm die ersten Einwohner Barcelonas. Er konzentrierte sich weiter auf seine Füße. Er war schon in der Stadt! Seeleute, Fischer, Frauen und Kinder, Werftarbeiter, Schiffszimmerleute – alle beobachteten schweigend den schweißüberströmten Jungen, der sich mit schmerzverzerrtem Gesicht unter der Last des Steins krümmte. Alle starrten auf die Füße des jungen Bastaix, denen Arnaus ganze Aufmerksamkeit galt, und alle feuerten ihn wortlos an: einer vor den anderen, einer vor den anderen …
Einige schlossen sich Arnau schweigend an, und so erreichte der Junge nach über zwei Stunden Plackerei die Kirche Santa María, gefolgt von einer kleinen, stillen Menschenmenge. Die Bauarbeiten kamen zum Stillstand. Die Maurer beugten sich über die Gerüste und die Zimmerleute und Steinmetzen ließen ihre Arbeit ruhen. Pater Albert, Pere und Mariona erwarteten ihn. Angel, der Sohn des Hafenschiffers, der mittlerweile Geselle geworden war, kam ihm entgegengelaufen.
»Los!«, schrie er. »Du bist da! Du bist am Ziel! Los, komm schon!«
Von den Gerüsten herunter waren aufmunternde Rufe zu hören. Diejenigen, die Arnau gefolgt waren, brachen in Jubel aus. Ganz Santa María stimmte mit ein, sogar Pater Albert jubelte mit. Arnau jedoch blickte weiter auf seine Füße, einen vor den anderen, einen vor den anderen … Bis er die Stelle erreichte, wo die Steine abgeladen wurden. Dort stürzten sich die Lehrlinge und Gesellen auf den Stein, den der Junge herangeschleppt hatte.
Erst jetzt sah Arnau auf, immer noch gebeugt und zitternd, und lächelte. Die Leute drängten sich um ihn und beglückwünschten ihn. Arnau wusste nicht, wer ihn dort umringte, er erkannte nur Pater Albert, der zum Friedhof Las Moreres hinübersah. Arnau folgte seinem Blick.
»Für Euch, Vater«, flüsterte er.
Als die Leute sich zerstreuten und Arnau erneut zum Steinbruch aufbrechen wollte, hinter seinen Zunftbrüdern her, von denen einige die Strecke bereits zum dritten Mal zurückgelegt hatten, rief der Priester ihn zu sich. Er hatte Anweisungen von Josep erhalten, dem Zunftmeister.
»Ich habe eine Aufgabe für dich«, sagte er zu ihm. Arnau blieb stehen und sah ihn erstaunt an. »Die Sakramentskapelle muss ausgefegt, aufgeräumt und mit neuen Kerzen versehen werden.«
»Aber …«, wandte Arnau mit einem Blick auf die Steine ein.
»Es gibt kein Aber.«
19
Es war ein harter Tag gewesen. So kurz nach der Sommersonnenwende war es abends lange hell, und die Bastaixos arbeiteten von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, be- und entluden die Schiffe, die in den Hafen kamen, immer angetrieben von den Händlern und Kapitänen, die so wenig Zeit wie möglich im Hafen von Barcelona verlieren wollten.
Als Arnau müde nach Hause kam, die Füße nachziehend, die Capçana in der Hand, wandten sich ihm acht Gesichter zu. Bei Pere und Mariona am Tisch saßen ein Mann und eine Frau. Joan, ein Junge und zwei Mädchen sahen ihn vom Fußboden aus an, den Rücken an die Wand gelehnt. Alle aßen mit Appetit aus ihren Schüsseln.
»Arnau«, sagte Pere, »ich möchte dir unsere neuen Mieter
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