Die Kathedrale des Meeres
wir das denn nicht?«
»Ja und nein.« Berenguer de Montagut sah ihn an und lächelte. »Wir wollen, dass dies die schönste Kirche der Menschheitsgeschichte wird. Doch das wollen wir mit anderen Mitteln erreichen als die anderen. Wir wollen, dass das Haus der Schutzpatronin des Meeres das Haus aller Katalanen ist, im selben Geist ersonnen und erbaut, der uns zu dem gemacht hat, was wir sind, indem wir auf unsere ureigenen Elemente zurückgreifen: das Meer und das Licht. Begreifst du?«
Arnau dachte einige Sekunden nach. Dann schüttelte er den Kopf.
»Wenigstens bist du ehrlich«, lachte der Baumeister. »Die Herrschenden handeln zu ihrem eigenen, persönlichen Ruhm. Anders hingegen wir. Ich habe gesehen, dass ihr eure Lasten manchmal zu zweit mithilfe einer Stange tragt statt auf dem Rücken.«
»Ja, wenn sie zu groß sind, um sie auf dem Rücken zu tragen.«
»Was würde geschehen, wenn wir die Länge der Stange verdoppelten?«
»Sie würde zerbrechen.«
»Nun, genauso ist es mit den Kirchen der Herrschenden … Nein, ich will damit nicht sagen, dass sie einstürzen«, erklärte er angesichts der erschreckten Miene des Jungen. »Aber weil sie so groß, so hoch und so lang sein sollen, muss man sie sehr schmal bauen. Hoch, lang und schmal, verstehst du?« Diesmal nickte Arnau. »Unsere wird das genaue Gegenteil sein. Sie wird weder so lang werden noch so hoch, dafür aber sehr breit, damit alle Katalanen hineinpassen, vor ihrer Jungfrau vereint. Wenn sie eines Tages fertig ist, wirst du es sehen. Es wird Raum für alle Gläubigen da sein, ohne Unterschiede, und der einzige Schmuck wird das Licht sein, das Licht des Mittelmeeres. Mehr Schmuck brauchen wir nicht. Nur den Raum und das Licht, das dort hineinfallen wird.« Berenguer de Montagut deutete auf das Gewölbe und beschrieb eine Handbewegung bis zum Boden. Arnau folgte seiner Hand mit dem Blick. »Diese Kirche wird für das Volk erbaut werden, nicht zum höheren Ruhme eines Fürsten.«
»Meister …« Einer der Gesellen war zu ihnen getreten. Die Pflöcke und Schnüre waren wieder in Ordnung gebracht.
»Begreifst du nun?«
Eine Kirche für das Volk!
»Ja, Meister.«
»Deine Steine sind Gold wert für diese Kirche, denk daran«, setzte Montagut hinzu und stand auf. »Tut es noch weh?«
Arnau hatte den Knöchel völlig vergessen und schüttelte den Kopf.
Weil er von der Arbeit als Bastaix freigestellt war, kehrte Arnau an diesem Tag früher nach Hause zurück. Er fegte rasch die Kapelle, putzte die Kerzen, ersetzte die bereits heruntergebrannten und verabschiedete sich nach einem kurzen Gebet von der Jungfrau. Pater Albert sah, wie er in aller Eile die Kirche Santa María verließ, und genauso eilig sah ihn Mariona ins Haus stürzen.
»Was ist los?«, fragte ihn die alte Frau. »Was machst du so früh hier?«
Arnau blickte sich in dem Raum um. Dort saßen sie, Mutter und Töchter, am Tisch und nähten. Die drei sahen ihn an.
»Arnau«, fragte Mariona erneut, »ist etwas?«
Arnau merkte, dass er errötete.
»Nein, nein …«
Er hatte sich keine Ausrede ausgedacht! Wie hatte er nur so dumm sein können! Und sie sahen ihn an. Alle sahen ihn an, wie er dort keuchend an der Tür stand.
»Nein, nein …«, wiederholte er. »Es ist nur … Ich habe heute früher Schluss gemacht.«
Mariona lächelte und warf einen vielsagenden Blick auf die Mädchen. Auch Eulàlia, die Mutter, konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.
»Nun, wenn du schon einmal früher freihast«, riss Mariona ihn aus seinen Gedanken, »kannst du Wasser für mich holen gehen.«
Sie hatte ihn wieder angesehen, dachte der Junge, als er mit dem Eimer zum Angel-Brunnen ging. Wollte sie ihm etwas sagen? Arnau schwenkte den Eimer hin und her. Ganz bestimmt wollte sie das.
Doch er hatte keine Gelegenheit, es herauszufinden. Wenn Eulàlia nicht da war, sah er sich Gastós schwarzen Zahnstummeln gegenüber – den wenigen, die ihm geblieben waren. Und wenn keiner von beiden zu sehen war, hatte Simò ein wachsames Auge auf die Mädchen. Tagelang musste sich Arnau damit begnügen, sie verstohlen zu beobachten. Hin und wieder gelang es ihm, einen raschen Blick auf ihre fein gezeichneten Gesichter zu erhaschen, das wohlgeformte Kinn, die vorstehenden Wangenknochen, die gerade, zierliche italische Nase, die weißen, ebenmäßigen Zähne und diese beeindruckenden braunen Augen. Manchmal, wenn die Sonne in Peres Haus fiel, konnte Arnau beinahe den bläulichen Schimmer ihres langen,
Weitere Kostenlose Bücher