Die Kathedrale des Meeres
Sie war weit weg, sehr weit. Wie sollte er diesen ganzen Weg mit einem Stein auf dem Rücken schaffen? Er merkte, wie seine Beine nachgaben, und lief rasch hinter der Gruppe her, die schwatzend und lachend weitergegangen war.
Schließlich tauchte hinter einer Wegbiegung der königliche Steinbruch La Roca auf. Arnau entfuhr ein Ausruf des Erstaunens. Es war wie auf der Plaza del Blat oder einem der anderen Märkte, nur ohne Frauen! Auf einem großen, ebenen Gelände verhandelten die königlichen Beamten mit den Leuten, die gekommen waren, um Steine zu kaufen. Am einen Ende der Freifläche, dort, wo man noch nicht mit dem Abbau des Gesteins begonnen hatte, drängten sich Karren und Maultiergespanne. Überall sonst erhoben sich Steilwände aus glänzendem Gestein. Unzählige Steinmetze schlugen gefährlich große Blöcke aus dem Fels, die sie dann auf der Freifläche auf die richtige Größe zurechtklopften.
Die Bastaixos wurden von allen, die auf ihre Steine warteten, herzlich empfangen. Während die Zunftmeister zu den Beamten gingen, mischten sich die übrigen unter die Leute. Es gab Umarmungen, Hände wurden geschüttelt, man hörte Scherze und Lachen, Krüge mit Wasser und Wein wurden ihnen entgegengehalten.
Arnau konnte den Blick nicht von den Steinmetzen und ihren Gehilfen wenden, die Karren und Maultiere beluden, stets gefolgt von einem Beamten, der das Ganze überwachte. Wie auf den Märkten diskutierten die Leute oder warteten ungeduldig, dass sie an die Reihe kamen.
»Das hast du nicht erwartet, stimmt's?«
Als Arnau sich umdrehte, sah er Ramon, der gerade einen Krug zurückreichte, und schüttelte den Kopf.
»Wofür sind all diese Steine?«
»Oje!« Und Ramon begann aufzuzählen: »Für die Kathedrale, für Santa María del Pi, Santa Anna, das Kloster von Pedralbes, die königlichen Zeughäuser, Santa Clara, die Stadtmauer. Überall wird gebaut und umgebaut, nicht zu sprechen von den neuen Wohnhäusern der Reichen und Adligen. Niemand will mehr Holz oder Ziegel. Stein soll es sein, nur noch Stein.«
»Und der König stellt die ganzen Steine zur Verfügung?«
Ramon musste herzhaft lachen.
»Nur die für Santa María del Mar. Die rückt er tatsächlich kostenlos heraus … und wahrscheinlich auch die für das Kloster von Pedralbes, denn das entsteht im Auftrag der Königin. Für alle anderen verlangt er gutes Geld.«
»Und was ist mit den königlichen Schiffszeughäusern?«, fragte Arnau. »Wenn sie doch königlich sind …«
Ramon lachte erneut.
»Sie mögen königlich sein, aber der König kommt nicht für die Kosten auf.«
»Die Stadt?«
»Auch nicht.«
»Die Händler?«
»Auch nicht.«
»Wer dann?«, wollte Arnau von dem Bastaix wissen.
»Die königlichen Schiffszeughäuser werden bezahlt von …«
»Von den Sündern!«, fiel ihm der Mann ins Wort, der ihm den Krug gereicht hatte, ein Fuhrmann von der Kathedrale.
Ramon und er lachten über Arnaus verdutztes Gesicht.
»Von den Sündern?«
»Ja«, fuhr Ramon fort, »die neuen Zeughäuser werden von dem Geld der sündigen Händler bezahlt. Pass auf, es ist ganz einfach: Nach den Kreuzzügen … Weißt du, was Kreuzzüge sind?« Arnau nickte. Natürlich wusste er, was die Kreuzzüge waren. »Nun, nachdem die Heilige Stadt endgültig verloren war, untersagte die Kirche den Handel mit dem Sultan von Ägypten. Doch offenbar bekommen unsere Händler ihre besten Waren von dort, und keiner von ihnen ist bereit, auf den Handel mit dem Sultan zu verzichten. Also gehen sie vorher zum Seekonsulat und bezahlen eine Strafe für die Sünde, die sie begehen werden. So erkaufen sie sich im Voraus die Absolution, und es ist keine Sünde mehr. König Alfons hat bestimmt, dass dieses Geld für den Bau der neuen Schiffszeughäuser von Barcelona verwendet werden soll.«
Arnau wollte etwas sagen, doch Ramon unterbrach ihn mit einer Handbewegung. Die Zunftmeister riefen nach ihnen, und Ramon forderte den Jungen auf, ihm zu folgen.
»Sind wir vor ihnen dran?«, fragte Arnau mit einem Blick auf die zurückbleibenden Fuhrleute.
»Natürlich«, antwortete Ramon, ohne stehen zu bleiben. »Bei uns sind nicht so viele Kontrollen nötig wie bei ihnen. Die Steine sind umsonst, und es ist ganz einfach, sie zu zählen: ein Bastaix, ein Stein.«
»Ein Bastaix, ein Stein«, wiederholte Arnau bei sich, als der erste Bastaix mit dem ersten Stein an ihm vorbeiging. Sie hatten nun die Stelle erreicht, wo die Steinmetze die großen Blöcke zurechtklopften. Er sah in
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