Die Katze namens Eisbär
Menschenschlange sich angesammelt hatte und zum Glück Bücher genug da waren. Dafür waren natürlich in den anderen Buchhandlungen keine Bücher, nur deshalb waren die Leute ja hier, aber das erfuhr ich glücklicherweise erst später. Mit einem bescheidenen Gruß begab ich mich an meinen Platz, setzte mich und ging daran, den Leuten die gekauften Bücher zu signieren. Ich arbeitete so schnell wie möglich, aber es nahm dennoch einige Zeit in Anspruch, da die Leute nicht nur ihren und meinen Namen in ihren Büchern sehen wollten, sondern auch den oder die Namen ihrer Katzen. Die meisten hatten zwei oder drei, einige aber noch mehr – eine Frau hatte sogar siebzehn Katzen. Der am häufigsten vorkommende Name war übrigens Samantha. Ich versuchte, das auf »Sam« abzukürzen, aber das fand keinen Anklang. Wie dem auch sei, ich gab mir alle Mühe, kleine Anekdoten von Eisbär zu erzählen und gleichzeitig zu verhindern, daß es bei den Wartenden zur offenen Meuterei kam.
Plötzlich fielen mir zwei Frauen auf, die das Buch gekauft hatten und es nun gemeinsam lasen, während sie warteten. Ich unterstelle einmal, daß es wenige Autoren gibt, die es sich verkneifen können, jemanden anzusprechen, der tatsächlich dabei ist, ihr Buch zu lesen. Insbesondere möchte man immer gern wissen, welche Stelle in dem Buch der Betreffende gerade liest.
Ich stand also auf, als wolle ich mich ein bißchen strecken und einen Moment Pause machen, und pirschte mich unauffällig ein paar Schritte an die beiden heran. Sie waren, wie ich zunächst mit Genugtuung feststellte, ganz vertieft in meine Ausführungen; aber bei näherem Hinsehen stellte ich fest, daß sie, obwohl sie das Buch offensichtlich gerade erst gekauft hatten, nicht den Anfang, sondern das Ende lasen.
Laut und deutlich sagte ich ihnen, ich wüßte genau, was sie täten – sie läsen zuerst das Ende des Buchs, um zu sehen, ob Eisbär am Schluß stürbe. Und wenn das der Fall sein sollte, dann würden sie das Buch zurückgeben, richtig? Verlegen gaben sie zu, daß ich recht hatte.
Wenn ich nach einem normalen Arbeitstag nach Hause komme, verläuft das Schlafengehen immer nach dem gleichen Muster. Ich lege mich lang, mit dem Kopf nach Norden. Sobald ich mich ausgestreckt habe, springt Eisbär herauf und legt sich, den Kopf nach Süden, mitten auf meinen Bauch. Dann fängt er an, mit seinen Pfoten nach Herzenslust zu treten und zu kneten. Das ist für ihn natürlich gesunde Bewegung, und ich habe das Gefühl, daß meine Muskeln ein bißchen durchgearbeitet werden, ohne daß ich mich dazu erst aufs Fahrrad schwingen oder in gymnastische Übungen stürzen muß, was ja alles sehr zeitaufwendig ist. Danach zettle ich im allgemeinen eines unserer kleinen Kämpfchen an. Wenn es kalt ist, lege ich ihm eine Wolldecke über, wenn es warm ist, nur ein Leintuch. Dann stupse ich ihn, immer aus verschiedenen Richtungen kommend, von außen mit den Fingern, und er versucht unter der Decke, mich zu schnappen. Wenn ich ihn mit einer Hand unterwerfen kann, ehe er mir eine blutende Wunde beigebracht hat, bin ich der Sieger. Gelingt es ihm, einen meiner Finger richtig zwischen die Zähne zu bekommen – ohne mir eine blutige Wunde zu reißen –, gilt das als Unentschieden. Wie auch immer das Kämpfchen ausgeht, hinterher legen wir uns hin und schlafen, wobei ich gern eine Hand auf seinem weichen Körper liegen habe, ganz gleich, wo er sich befindet. Aber ehe wir das tun, gibt er mir meistens, besonders wenn er Sieger war, noch einen gründlichen Gute-Nacht-Schlecker.
Kehre ich aber von einer Reise nach Hause zurück, so läuft der Abend ganz anders ab. Wenn ich nach einer Reise ins Schlafzimmer gehe und mich hinlege, können Stunden vergehen, ehe Eisbär auch nur hereinzukommen, geschweige denn zu mir aufs Bett zu kommen geruht. Seine Reaktion richtet sich jeweils nach der Dauer meiner Abwesenheit: Nach einer kurzen Reise ignoriert er mich kurze Zeit. Nach einer langen Reise ignoriert er mich lange Zeit. Als ich damals von meiner Buchtour zurückkam, übertraf er sich jedoch selbst. Nicht nur lief er davon, als ich ihn hochheben wollte, er weigerte sich sogar, auch nur den kleinsten Bissen des köstlichen Mahls zu sich zu nehmen, das ich ihm zubereitete. Statt dessen sah er erst auf seinen Napf hinunter, dann zu mir herauf und bedachte mich schließlich mit einem höhnischen Lächeln, wie nur er es fertigbringt. Dann ging er, nein, stolzierte er davon.
Schließlich ging ich zu Bett und tat
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