Die Kinder der Nibelungen (German Edition)
von hier weg. Siggi konnte nur ein paar Meter in die Gänge hineinsehen. Einer war so gut wie der andere.
»Wir nehmen den Gang in der Mitte«, entschied er, »denn er führt nach oben.«
Die beiden Kinder setzten sich in Bewegung und machten sich auf die Suche nach dem Weg, der hinaus in die Freiheit führte. Und nach Hagen.
»Du bist es nicht wert, den Namen der Nibelungen zu tragen. Große Hoffnungen hatte ich in dich gesetzt, aber bei der ersten Probe deines Mutes versagst du kläglich! Ich verstoße dich. Du bist mein Sohn nicht mehr …«
Die Worte Alberichs hallten in Hagens Ohren nach. Vor seinen Augen standen immer noch die Bilder des schrecklichen Kampfes in der Höhle. Mîm war gefallen, im Kampf gegen einen Lios-alf, der zusammen mit Siggi gekommen war. Hagen merkte erst jetzt, wie sehr er den schweigsamen Schwarzalben gemocht hatte.
Alberich hatte er verehrt, als mächtigen Verbündeten geschätzt, aber Mîm und er hätten vielleicht Freunde werden können. Doch sie hatten so wenig Zeit gehabt, sich kennen zu lernen.
Und dann Alberichs Worte. Er war verstoßen worden, ausgeschlossen aus dem Kreis der Swart-alfar, hatte seine gerade erst gewonnenen Ehren verloren.
Mîm tot; von Alberich verstoßen; und Siggi war ihm entkommen. Hagen war einfach losgerannt. Den Runenspeer in der Hand, war er gelaufen, was die Beine hergaben, nur weg, fort von dem Ort dieses schrecklichen Geschehens.
Er wollte nur die Stätte seiner Schande, seiner Niederlage hinter sich lassen. Hagen achtete nicht darauf, wohin er lief, und es war ihm auch egal, in welche Richtung ihn sein Weg führte. Die Scham der Demütigung brannte in ihm, und die Schuld, die er verspürte, machte alles noch schlimmer.
Einen Moment nur hatte er gezögert; einen Lidschlag lang hatte er mit sich gerungen, Siggi den Speer in die Brust zu bohren, um den Triumph der Swart-alfar vollkommen zu machen.
Nur einen Augenblick …
Und wer war für das alles verantwortlich? Siggi! Wer sonst? Wie ein Schemen war er ins Nichts verschwunden, hatte sich mitsamt seiner nichtsnutzigen Schwester einfach verflüchtigt.
Der Ring …
Ja, es musste die Macht des Ringes gewesen sein, die es Siggi ermöglicht hatte, sich aufzulösen wie ein Nebelstreif unter der Sommersonne. Ihm hatte er all diese demütigenden Niederlagen zu verdanken, die seinen Stolz auf tiefste verletzt haben.
Sein Ring …
Ja, es war seiner, Hagens Ring, der es Siggi ermöglicht hatte, der Todesfalle zu entkommen. Oh, sicher hätte er seine Zweifel überwunden, denn Hagen wusste, er hätte alles getan, um seinem Vater zu gefallen, um ihm Ehre zu machen im Kampf gegen die bleiche Brut, die Lios-alfar. Aber er hatte versagt, kläglich versagt.
Alberich, der Nibelung …
Der König der Swart-alfar hatte alles so klug eingefädelt. Der Plan war perfekt gewesen. Sie hätten die Kraft des Runenspeers gewonnen, den Ring zurückerhalten und Odin hinters Licht geführt. Zu guter Letzt hätten sie sich auch noch Brisingamen genommen, das Halsgeschmeide der Verborgenen Königin. Aber alles war gescheitert. Und nur, weil er einen winzigen Augenblick lang gezögert hatte.
Das erste Mal …
Er hatte noch nie vorher getötet, noch nie, und er hatte gemerkt, dass vom Töten zu reden eine Sache war, aber es dann auch wirklich zu tun eine völlig andere. Kurz nur war ihm der Gedanke gekommen, dass er Siggi mit einem Stoß auslöschen, ihn aus dem Kreis der Lebenden reißen würde. Immerhin hatte Siggi ihn aus dem Fesseln befreit, die als Falle gedient hatte.
Sigg i …
Siggi hatte zuerst an ihn gedacht, hatte ihn wirklich befreien wollen. Das hatte ihn zögern lassen. Vielleicht war er ja doch ein Freund, vielleicht täuschte er sich in Siggi, den er hatte umbringen sollen. Möglicherweise war er kein Dieb …
Dieser hinterhältige Bastard …
Mit einem Mal wurde Hagen klar, dass Siggi der abgefeimteste Schuft war, der ihm je begegnet war. Siggi hatte gewusst, dass Hagen bei den Swart-alfar Gehör finden würde. So hatte der Dieb und Verräter gewiss auch geahnt, dass man eine Falle für ihn aufgestellt hatte. Und er musste gewusst haben, dass er, Hagen, dazu ausersehen war, ihn zu töten; denn schließlich hatte schon einmal ein Hagen einen Siegfried getötet. Sicher hatte Siggi von vornherein geplant, Zweifel in ihm zu säen, damit er diesen Moment zögern würde, und ihm so die größte Demütigung zugefügt, die Verbannung und Entehrung durch seinen Vater.
Siggi ist an allem schuld …
Dieser
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