Julia Extra Band 0301
1. KAPITEL
Himmel, hoffentlich war dieser Abend bald vorbei! Die beiden Männer in der Bar des exklusiven Londoner Hotels, die sie und ihre Schwester erst vor einer Stunde kennengelernt hatten, hatten gerade lachend beschlossen, dass Tara mehr ausgehen sollte. Und dennoch: Der attraktivere von den beiden, ein großer, muskulös gebauter Mann namens Lucien mit dichtem braunem Haar, diskutierte jetzt mit Taras älterer Schwester Freya darüber, dass es so etwas wie „zu still“ nicht gab. Wenn Tara nicht gern wilde Partys feierte, warum sollte sie dann? Es gab ja auch andere Möglichkeiten, Leute kennenzulernen …
Tara warf ihm einen dankbaren Blick zu und zog sich erleichtert tiefer in den Schatten der Nische zurück.
Nähe zu ihrer älteren Schwester war alles, was sich die achtzehnjährige Tara je gewünscht hatte. Doch inzwischen fragte sie sich, ob es nicht gefährlich war, der Flamme zu nahe zu kommen, wenn jemand so hell brannte wie Freya.
Aber vielleicht ist es ja doch der richtige Weg, überlegte Tara, als sie sich jetzt in die viel zu engen Sachen ihrer Schwester zwängte. Die beiden Mädchen waren in ihre Unterkunft zurückgekehrt, um sich umzuziehen. Ihre neuen Bekannten hatten den Vorschlag gemacht, gemeinsam Abend zu essen: eine Idee, die von Freya begeistert angenommen worden war. Ihre Schwester ermunterte Tara ohnehin immer wieder, mehr in Gesellschaft auszugehen, also würde Tara heute so ziemlich alles tun, um Freyas Anerkennung zu gewinnen.
Alles. Aber das eine nicht, dachte Tara, als das Gesicht des Mannes, der vorhin Partei für sie ergriffen hatte, vor ihrem geistigen Augen auftauchte. Luciens tiefe samtene Stimme und sein amüsierter Blick hatten sie nervös gemacht. Er gehörte eindeutig zu jener anderen, viel aufregenderen Welt, in der Freya so unbedingt leben wollte. Es war eine Welt, von der Tara wusste, dass sie nie dazugehören würde.
Freya hatte keine Probleme, sich auf ein Gespräch mit unbekannten Männern einzulassen, doch für Tara war es die reinste Qual. Sie hatte während der gesamten Zeit vor Verlegenheit kaum den Blick gehoben. Neben ihrer glamourösen Schwester, die überall, wohin sie auch ging, die Aufmerksamkeit auf sich zog, war sie sich linkisch, unscheinbar und pummelig vorgekommen. Am liebsten hätte sie sich in ein Mauseloch verkrochen. Nur einmal hatte sie Lucien direkt angeschaut, als er sich mit der Frage an sie richtete: „Sollten Sie nicht in der Ausbildung sein?“
Anstatt Männer in einer Bar aufzureißen , hatte er wohl damit gemeint.
Bevor Tara antworten konnte, hatte Freya das Gespräch sofort wieder an sich gerissen. Nichts sollte von dem flirtenden Ton der Unterhaltung ablenken. Als Tara diese Szene später Freya gegenüber erwähnte, lachte diese nur unbeschwert und sagte, Tara solle sich das nicht so zu Herzen nehmen. Sie habe ja noch ihr ganzes Leben, um etwas zu lernen, ihre Jugend solle sie aber erst einmal dazu nutzen, um sich einen Mann zu angeln.
Wenn Tara jetzt daran dachte, brannten ihre Wangen vor Scham. Fairerweise musste man Freya wohl zugestehen, dass sie in gewisser Weise recht hatte. Denn was immer Lucien über ihre Ausbildung dachte – Lucien mit dem französischen Akzent und dem wissenden Blick, der Tara das Blut in den Adern aufheizte –, er hatte Freya gebeten, auf jeden Fall ihre kleine Schwester mit zum Essen zu bringen.
Wieso hatte er das getan? Tara wurde abwechselnd heiß und kalt, wenn sie darüber nachdachte. Sie kam sich schon jetzt unmöglich vor, wie sie hier saß, in dem zugigen kleinen Apartment, eingehüllt in einer Wolke von Freyas billigem Parfüm und dem Figur formenden Body. Freya hatte gemeint, es ginge vor allem um den ersten richtigen Eindruck, um den zweiten brauche man sich dann keine Gedanken mehr zu machen. Und aus diesem Top würde man sie wohl herausschneiden müssen.
„Hör auf, daran herumzuzupfen.“ Freya unterbrach das Anbringen der falschen Wimpern, um Tara einen strengen Blick zuzuwerfen. „Das hat ein Vermögen gekostet.“
„Entschuldige …“ Freya hatte darauf bestanden, dass Tara auf jeden Fall etwas Schickes tragen müsse, und ihr das Paillettenoberteil in die Hand gedrückt.
Jetzt nahm sie es ihr wieder ab. „Ich trage das heute Abend. Du nimmst das hier …“
„Danke.“ Tara war froh, die glitzernden Pailletten gegen ein unauffälligeres Top mit einem wesentlich unaufdringlicheren Ausschnitt zu tauschen.
„Dir ist klar, dass dein Typ ein echter Comte, also ein Graf,
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