Die Kinder des Ketzers
Schwester zuckte mit den Achseln. «Na ja, lass mich nachdenken… du könntest zum Beispiel Quälgeist Fabiou im Mühlteich ersäufen. Dann hätten wir Bèufort als Mitgift.»
«Catarino, das ist nicht witzig!»
«Hm… du könntest dich natürlich auch selbst im Mühlteich ersäufen», überlegte Catarino weiter. «So wie in der Ballade von der schönen Marie-Claire. Dann wird Arman deinen toten Leichnam erblicken, sich verzweiflungsvoll das Hemd zerreißen und reumütig ins Kloster gehen, und Anne das Pferd endet als alte Jungfer.»
«Catarino!»
«Verflucht, ma mie , jetzt stell dich nicht so an!» Catarino stampfte wütend mit dem Fuß auf. «Steh endlich auf und zieh dich an, bevor wir Ärger mit Frederi bekommen, und vergiss diesen blöden Arman de Mauvent, verdammt noch mal!»
22
«Du sollst nicht fluchen!», schrie Cristino. «Dafür kommt man ins Fegefeuer! Aber dir würde ich’s gönnen, ehrlich!»
«Schluss jetzt!» Catarino riss ihrer Schwester ruckartig die Decke vom Schoß. «Du stehst jetzt auf!»
Cristino ließ die Beine über die Bettkante gleiten und angelte mit den Zehen nach den bestickten Samtpantoffeln unter ihrem Bett. Sie fühlte sich so elend wie nie zuvor in ihrem Leben. «Ich glaube, ich werde krank», murmelte sie.
«Blödsinn! Du bist nicht krank! Du bist unglücklich verliebt, das ist alles!»
«Doch… ich glaube, ich bekomme Halsschmerzen…»
«Oh, Cristino, lass den Unsinn! Ich rufe jetzt Anno, dass sie uns beim Ankleiden hilft!»
Gesenkten Hauptes schlurfte Cristino zur Frisierkommode hinüber und ließ sich auf den Stuhl fallen, den Catarino freigemacht hatte. Langsam hob sie den Kopf, langsam schlug sie die Augen auf, und langsam ließ sie ihr Spiegelbild auf sich wirken. Eine Elegie. Jeanne d’Arc auf dem Scheiterhaufen konnte kein ergebeneres, kein tragischeres Bild geben, so bleich war ihr schmales Gesicht, so weh der Blick aus den blauen Augen, so flehend die Lippen aufgeworfen, und darum der goldene Kranz ihres noch ungekämmten Haars, ein Bild, das nach einem Dichter schrie, es zu besingen…
Dann fiel ihr der dicke, rote Pickel über ihrer Nasenwurzel auf, und die kleine weiße Narbe dicht unter ihrem Haaransatz, und sie begann wieder zu heulen. «Ich sehe aus wie ein Monster!», schniefte sie. «Arman de Mauvent wird sich nie in mich verlieben, wenn er mich so sieht!»
«Das macht doch nichts – er wird dich ja nicht sehen!», stellte Catarino trocken fest. « Ma mie , Cristino, ist doch nicht so schlimm
– leg ein bisschen Puder drauf, dann fällt das doch keinem auf!»
Von draußen wurde an die Tür geklopft, und Catarino sprang auf die Füße. «Das ist Mama – ich hab’s dir ja gesagt, wir kriegen Ärger!»
«Catarino! Cristino! Wo bleibt ihr denn? Anno, geh und hilf den Mädchen beim Anziehen! Gott, Kinder beeilt euch, es ist schon halb sieben, wir wollen doch um neun fahren! Wo ist Fabiou eigentlich?
Und, Agato, ist die Kleine fertig? Fabiou, Fabiou, wo bist du? Oh 23
Gott, Frederi, ach, mein Frederi, ich bin ja so nervös, so nervös bin ich!» Und aus dem Hintergrund die tiefe, beruhigende Stimme des Herrn von Castelblanc, der seiner Gattin versicherte, dass alles gut sei und kein Grund zur Sorge bestünde und man natürlich mit dem neunten Glockenschlag Castelblanc verlassen würde.
«Frederi, ach, mein Frederi!», säuselte Catarino, und dann machte sie eine Geste, als wolle sie sich übergeben.
***
Als die Sonne als weißgoldener Ball über den fernen Horizont kletterte, tat die Welt einen tiefen Atemzug, und der neue Tag begann.
Wie ein Brautschleier lag der Frühnebel über der jungen Natur, strahlend im gleißenden Morgenlicht. Träumerisch schimmerten die Bäume jenseits der Straße durch den weißen Dunst, Pinien und Steineichen, festgekrallt auf dem felsigen Boden jenes Bergzuges, den die Franzosen Lubéron und die hier ansässigen Luberoun zu nennen pflegten. Auf der Wiese, die vor dem Anwesen lag, waren jetzt die Sterne aufgegangen, Tausende funkelnder Lichtpunkte im taunassen Gras, und darüber weiß der Himmel, durch den als schwarze Striche die Vögel zogen.
Dann lichtete sich der Nebel und gab den Blick auf die Ebene jenseits des Waldes frei. Weit unten dehnte sich ein Schachbrettmuster aus Wald und von Hecken und Steinriegeln umrahmten Feldern, dazwischen eingestreut kleine, gedrängte Dörfer, oft nur aus wenigen Höfen bestehend, ein paar Scheunen, ab und zu ein Kirchturm. Dahinter erhoben sich die zerklüfteten
Weitere Kostenlose Bücher