PR 2685 – Der ARCHITEM-Schock
1.
»Etwas tut sich im Nahbereich der Sonne. Unsere Informanten sprechen von ungewöhnlichen Schiffsbewegungen. Es hat den Anschein, als würden Flottenkontingente zusammengezogen. Was immer sich dahinter verbergen mag ...«
»Trivid aus!«, ordne ich an.
Ich habe kaum noch hingehört, fühle mich von der Übertragung sogar gestört. Was mich von Okta ablenken könnte, muss zurückstehen.
Sie hat sich zwischen den Aggregaten vor mir verkrochen. Ihre fluoreszierende Haut wird sie allerdings verraten, selbst wenn sie sich in den hintersten Winkel quetscht. Ich weiß, dass sie jeden meiner Schritte wie ein Erdbeben wahrnimmt und meine Atemzüge als halben Orkan. Ob sie auch meinen Herzschlag spürt?
Prompt halte ich die Luft an. Nicht einmal, wenn ich mich in einen Roboter verwandeln würde, wäre es für mich einfacher, mein entflohenes »Kind« einzufangen. Bestenfalls ein toter Roboter hätte eine Chance.
Doch ich bin kein Roboter ...
... und tot schon gar nicht.
Eigentlich brauche ich nur zu warten. Über kurz oder lang wird die Jungtarantel ihr Versteck wieder verlassen – und wohin sollte sie schon entkommen?
Wohin? Ich schaue zum Fenster. Der Himmel zeigt sich in ungewöhnlich tiefem Blau. Schleierwolken treiben schnell dahin, ihre Schatten huschen über die saftigen Weiden und die kargen Felshänge. Der kleine See auf der anderen Seite des Tales wirkt, als wäre er aus der Landschaft ausgestanzt wie ein unergründliches Schwarzes Loch. Während ich mich darauf konzentriere, spiegeln sich Wolken im Wasser und gleich darauf blendend hell die Sonne. Sol steht nahezu im Zenit, es ist kurz vor Mittag.
Der Servo hat meinen kurzen suchenden Blick erfasst. 16. Dezember 1469 NGZ, 18.03 Terrania-Standardzeit, erscheint die holografische Auskunft. Das sind von meiner Einsamkeit nach wie vor über sechs Stunden lokalen Unterschieds zur Metropole. Natürlich könnte ich eine Angleichung vornehmen, nur wozu? Während in Terrania der neue Tag beginnt, sehe ich die Sonne blutrot hinter den Bergen untergehen. Daran habe ich mich in all den Monaten gewöhnt, ich möchte es gar nicht mehr anders.
Zögernd gehe ich in die Hocke. Der Zirkulationsspalt zwischen dem Bioresonator und den Aufbereitungsanlagen der Zellkerntrennung ist gerade breit genug, dass ich mit den Fingerspitzen hineinlangen kann. Ganz hinten, an der Wand, glaube ich, einen fahlen hellen Schimmer zu erkennen. Das könnte Okta sein.
Ich verrenke mir fast den Hals bei dem Versuch, mit einem Auge in den Spalt zu schauen.
Hinter mir erklingt ein verhaltenes, eher hustend anmutendes Fauchen. Ein deutlicher Hauch von Ungeduld schwingt darin mit.
Jetzt nicht! Immer öfter macht mich Irp zornig. Dies ist so ein Moment. Er wird lernen müssen, dass nicht nur er im Vordergrund stehen kann. Notfalls muss ich ihm das mit Nachdruck beibringen.
Ich sperre dich nach draußen! Dabei weiß ich, dass ich genau das nicht fertigbringen werde. Und Irp weiß es auch. Zumindest bildet er sich ein, das zu wissen. Wieso kann er mich so gut einschätzen?
Was mir fehlt, sind ein paar Miniroboter, klein genug, um Okta aus ihrem Versteck hervorzuholen. Ich müsste solche Winzlinge von Terra anfordern. Und dann? Warten. Wer sollte Interesse daran haben, mir ausgerechnet in dieser Zeit zwei oder drei formvariable Minis zu liefern? Whistler baut sie ab einer Größe von vier Millimetern als Wegwerfartikel mit integrierter Energiezelle und Standardprogrammierung als Reinigungsroboter. Einzelne Exemplare gab es stets als Warenprobe gegen Erstattung der Frachtkosten. Ansonsten Tausenderpackungen für den durchschnittlichen Haushalt.
Zumindest war das so, bevor das Solsystem aus der Milchstraße herausgerissen und entführt wurde. Der Gedanke behagt mir nicht, deshalb ignoriere ich ihn. Das ist gesünder, als mich damit herumzuärgern.
Ich brauche keine Tausenderpackung. Nur einen oder zwei Minis, die Okta aus ihrem Versteck ziehen. Wobei ich mir keineswegs sicher bin, dass die Einwegroboter die Oberhand gewinnen würden. Okta ist bislang zwar nicht größer als mein halber Daumen, aber ihre Gensequenzen sind auf Stärke ausgelegt.
Das Fauchen im Hintergrund des Labors klingt aggressiver. Es kommt bereits tief aus Irps Kehle. Er versucht sich im Feuerspucken und schlägt mit den Schwingen – beides erkenne ich an den dabei entstehenden Geräuschen, während ich mir Mühe gebe, den Zirkulationsspalt in seiner ganzen Länge zu überblicken. Es hat den Anschein, als ob Okta sich
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